Adultismus und kritisches Erwachsensein: Hinter (auf-)geschlossenen Türen

Autor*in
Ritz, ManuEla Schwarz, Simbi
ISBN
978-3-89771-090-0
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
544
Verlag
Unrast Verlag
Gattung
Erzählung/RomanSachliteratur
Ort
Münster
Jahr
2022
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFachliteratur
Preis
24,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Das vorliegende Buch ist eigentlich zwei Bücher. Eines von ManuEla Ritz „Adultismus und Kritisches Erwachsensein“, das andere von Simbi Schwarz „Hinter (auf-)geschlossenen Türen“. Keines davon ist das erste, hauptsächliche oder vorrangige, man dreht das Buch einfach um, um das andere zu lesen. Genauso müsste man es nun mit der Rezension machen, aber das ist im Rahmen eines linearen Textes etwas schwieriger.

Beurteilungstext

Simbi Schwarz ist bei Veröffentlichung des Buches 20 Jahre alt und damit eine ziemlich junge Autorin. Außerdem ist sie Expertin auf ihrem Gebiet. Sie schreibt über Gedanken, Sorgen, Gefühle von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie schreib in Prosa, aber so, dass die Geschichten miteinander verbunden sind. Immer ist nachvollziehbar, worum es im Kontext von kritischem Erwachsensein/Adultismus geht, ohne dass einem die Moral vor Augen geführt werden muss. Es geht um Kinder, die ihren Alltag allein organisieren müssen, obwohl das Aufgabe ihrer Eltern sein müsste. Um andere, die sich von der Abhängigkeit vom Urteil anderer losmachen müssen, um ihren eigenen Weg zu finden. Das Spannende daran ist, dass auf der Ebene der Rahmenhandlung Kinder und Jugendliche über diese Geschichten sprechen und sie gegenseitig kommentieren. Nie taucht ein Erwachsener auf, um einzuordnen oder zu bewerten. Man kann vom Stil und Inhalt der Texte halten was man will, man kann sie mögen oder nicht, am Ende aber sind sie von einer großen Stärke und einen großen Mut gekennzeichnet. Und die Abwesenheit der erwachsenen Kritik macht sie auch zu dem was sie sind: authentisch und ehrlich. Sofort vergeht einem jegliche Lust, sich als latent Macht ausübender, da älterer Mensch, Abseits der Beschreibung irgendein Urteil zu erlauben. Und wahrscheinlich ist auch das eine adultistische Haltung.

ManuEla Ritz‘ Teil ist eine verdichtete und fiktive Erzählung, inspiriert von ihren eigenen Workshops. Sie beginnt mit einem so weitschweifigen und verschachtelten Vorwort, dass mir persönlich dabei fast die Lust am Lesen vergeht. Dann packt es mich stellenweise doch. Und im Laufe des Textes gerate ich immer wieder an Punkte, die mich so beschäftigen, dass ich immer wieder über sie nachdenken muss. Im großen und ganzen mag ich den Stil nicht gern, bin aber beeindruckt von den Impulsen, die er setzt. Der Text führt mir vor, wie schwierig es in machtkritischen Kontexten, wie dem kritischen Adultismus, ist, konsequent machtkritisch zu sein. Vor allem dann, wenn man eine Geschichte erzählen möchte, in der ein*e Leser*in zu einer Erkenntnis geführt werden soll, was, weil die erzählende Stimme schon weiß, wo die Reise hingeht, schnell von Oben herab wirkt. Und ohne es zu wollen, kann es einem passieren, dass man strenger mit dem Text oder der Urheberin ist, als man es sonst vielleicht mit Inkohärenzen wäre, einfach weil die kritische und herausfordernde Haltung der Erzählperspektive dazu anstiftet.
Versehen mit Brainstormings, Begriffsdefinitionen und O-Tönen aus den Workshops behält die Abhandlung einen unfertigen Charakter, was es Leser*innen ohne Vorbildung wahrscheinlich erleichtert, die Denkanstösse aufzunehmen und auf sich wirken zu lassen.
Im Sinne der Kritischen Theorie lernen wir, dass die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern, im Gegensatz zu etwa Weißen und BIPoC (deren Verhältnis ebenfalls in kritischer Theorie aufgenommen wird) tatsächlich auf einem Ungleichgewicht beruht, weil Kinder von Erwachsenen abhängig sind und ihnen in gewissen Punkten unterlegen. Eine Übertragung auf alle Lebensbereiche und Situationen jedoch ist kritisch zu sehen, und die gesellschaftliche Haltung bestärkt die konstruierte Abhängigkeit und Unterlegenheit noch. Kindern wird allgemein abgesprochen, dass sie für sich Entscheidungen treffen können und eine hörenswerte Stimme haben.
Interessant ist das Buch also sowohl für Fachkreise, als auch für Eltern, Kinder und Interessierte. Lesen lässt es sich stichpunktartig, konsekutiv, interaktiv, diskursiv.

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Diese Rezension wurde verfasst von Julia Ritter; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 16.06.2023