Aber ich lebe. Vier Kinder erleben den Holocaust

Autor*in
Yelin, BarbaraLibicki, MiriamSeliktar, Gilad
ISBN
978-3-406-79045-4
Übersetzer*in
Seuß, Rita
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Yelin, BarbaraSeliktar, GiladLibicki, Miriam
Seitenanzahl
176
Verlag
C.H. Beck|
Gattung
Comic
Ort
München
Jahr
2022
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
25,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Drei international bekannte Zeichner*innen haben sich mit Zeitzeug*innen des Holocaust getroffen und ihre Geschichten auf völlig verschiedene Art und Weise dargestellt. Immer geht es um Kinder, die überlebt haben, aber unter unterschiedlichsten Bedingungen.

Beurteilungstext

Die Münchnerin Barbara Yellin, deren Comic „Irmina“ über eine NS-Täterin international bekannt wurde und 2016 den Max-und Moritz-Preis als beste deutschsprachige Comic-Künstlerin erhielt, hat Emmie Arbel befragt, die als kleines Mädchen die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen überlebt hat. Nach dem Krieg wandere Arbel nach Israel aus und arbeitete als Verwaltungsdirektorin in einer psychiatrischen Klinik. Sie lebt mit ihren Töchtern und Enkeln in der Nähe von Haifa.
Miriam Libicki, die 2017 mit dem Vine Award for Canadian Jewish Literature für ihren „Graphic Essay“ „Toward a Hot Jew“ ausgezeichnet wurde, gibt die Geschichte von David Schaffer wieder. Er entkam dem Genozid in Transnistrien, weil er sich nicht an die Regeln hielt. Schaffer wurde Ingenieur und lebt seit 2011 in Kanada.
Der Israeli Gilad Seliktar beschäftigte sich mit den Brüdern Nico und Rolf Kamp. Sie versteckten sich in den Niederlanden dreizehn Mal. Beide Brüder leben heute in Amsterdam und berichten regelmäßig als Zeitzeugen in Schulen.
Anliegen des Bandes ist es, „eingespielte Sehgewohnheiten und Bilder vom Holocaust“, die allzu oft von der Tätersicht bestimmt sind, aufzubrechen, aber auch den Aufbau empathischer Gespräche zwischen den Zeichner*innen und den Zeitzeug*innen erfahrbar zu machen. Charlotte Schallié, eine der HerausgeberInnen, meint dazu: „Empathie, Zuneigung, Fürsorge, Betroffenheit, Verbundenheit, Trauer – aus meiner Sicht ist es in einem solchen Projekt weder möglich noch wünschenswert, menschliche Distanz zu wahren. Dabei ging die kritische und wissenschaftliche Distanz aber keineswegs verloren.“ (https://www.deutschland.de/de/topic/kultur/die-kunst-des-erinnerns)
Es wird deutlich, dass Comics zu einer neuen Sichtweise verhelfen können: Zum einen wird die Vielfalt der Erfahrungen auch durch die Vielfalt unterschiedlicher Darstellungsweisen gespiegelt. Auch Kinder und Jugendliche können sich durch die visuell umgesetzten Erinnerungen unterschiedliche Bilder vom Holocaust machen. Und sogar das Nicht-Sagbare kann visuell umgesetzt werden, durch schwarze oder übermalte Darstellungen. Es gibt also nicht nur eine Darstellung des Holocaust, sondern die von verschiedenen Zeitzeug*innen, von verschiedenen Zeichner*innen, von verschiedenen Leser*innen. Damit wird die besondere Bedeutung von Holocaust-Erzählungen für den Aufbau einer Menschenrechtspädagogik deutlich: „Obwohl unsere Graphic Novels dazu ermuntern, über die Einzigartigkeit der Erfahrungen von Holocaust-Überlebenden nachzudenken, sind sie auch Herausforderung , auf Menschenrechtsverletzungen in der heutigen Welt kritisch zu reagieren.“(S. 172)
Es gibt einen umfangreichen Anhang von über 30 Seiten, in dem ausgewiesene Zeithistoriker*innen (u.a. Andrea Löw, Charlotte Schallié und Alexander Korb) den historischen Hintergrund der drei Schicksale aufdecken, die vier Zeitzeug*innen noch einmal zu Wort kommen und auch das gesamte Projekt vorgestellt wird: In einem Zeitraum von über drei Jahren (teilweise virtuell zur Corona-Zeit) haben Historiker*innen, Gymnasiallehrer*innen, Fachleute für Holocaust-Pädagogik und die Comic-Künstler*innen daran gearbeitet, die Zeugnisse der Überlebenden graphisch umzusetzen. Ausgangspunkt war das Projekt „Narrative Art and Visual Storytelling in Holocaust and Human Rights Education“ der kanadischen University of Victoria und vielen internationalen Kooperationspartnern. Dabei wurde schnell klar, dass die Zeichner*innen auf die unterschiedlichen Erinnerungen und Sichtweisen der Befragten auch visuell eingehen mussten. Das Interessante war, dass durch das Aufzeichnen auch wieder neue Erinnerungen wachgerufen wurden, so dass beide – Zeichnerinnen und Interviewte – sich gegenseitig durch die Interaktion bereicherten: „Dabei wurde uns vor Augen geführt, dass das visuelle Erzählen in Form von Graphic Narratives für Lebensgeschichten und Erinnerungen von Kinderüberlebenden ganz besonders geeignet ist, da diese Erinnerungen in einem lebendigen assoziativen Kontext wachgerufen werden, der sich für eine visuelle Darstellung intuitiv anbietet.“ (S. 170 f.)
Es gibt menschenrechtszentrierte Bildungsmaterialien, kurze Dokumentarfilme, Interviews und Archivmaterial auf der Projektwebsite https://holocaustgraphicnovels.org/books/
Nicht zuletzt dieser Comic hat die deutsche Sektion der International School for Holocaust Studies“ von Yad Vashem dazu ermuntert, ein „Online-Vertiefungsseminar: Graphic Novels und Animationsfilme über die Shoah. Zwischen Zeugenschaft und pädagogischer Vermittlung“ anzubieten, die deutlich macht, dass in den letzten Jahren in diesem Sektor bahnbrechende neue Angebote erschienen sind. In Youtube findet sich ein Film „But I live“, der die Gesprächspartner*innen und die Zeichner*innen zeigt: https://www.deutschland.de/de/topic/kultur/die-kunst-des-erinnerns


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Diese Rezension wurde verfasst von Annette Dr Kliewer; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 30.10.2023