54 Minuten - Jeder hat Angst vor dem Jungen mit der Waffe

Autor*in
Nijkamp, Marieke
ISBN
978-3-596-81298-1
Übersetzer*in
Zuber, Mo
Ori. Sprache
Amerikanisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
335
Verlag
FISCHER Schatzinsel
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
Frankfurt
Jahr
2019
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
10,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Das Semester an der Opportunity Highschool, Alabama, beginnt wie immer mit einer exakt getakteten Ansprache der Schulleiterin, Mrs. Trenton. Um 10.02 Uhr erheben sich die Anwesenden und strömen zur Tür – diese sind verschlossen. Der Tod ist bereits im Raum.

Beurteilungstext

Claire, Autumn, Sylv, Tomás, Fareed sind die Protagonisten, aus deren Perspektive der Leser einen Amoklauf an einer amerikanischen Highschool miterlebt, der an Grausamkeit und Verlusten seinesgleichen sucht. Rund 54 Minuten dauert das Morden, dem niemand Einhalt gebieten kann, das zunächst ‚wahllos‘ wirkt und später gezielt durchgeführt wird. Am Ende sind neununddreißig Tote, darunter auch der Amokläufer, und fünfundzwanzig Verletzte zu beklagen. Dazwischen gibt es Nachrichten von Geschwistern, Kindern, Freunden aus der verschlossenen Aula an Verwandte und Freunde nach draußen oder von draußen nach drinnen, weil die Lage unüberschaubar ist. Der Täter hat bestens vorgesorgt, um seine Opfer kontrollieren und in Schach halten zu können.
Alle Protagonisten beginnen ihr letztes Jahr auf der Opportunity, die einen haben bereits Pläne für die sich anschließende Zeit, manche haben Zusagen von Colleges in der Nähe oder Ferne erhalten, einige haben ihre Träume aus verschiedenen Gründen wieder verworfen. Claire plant wie ihr Freund Chris, dem Leistungsträger der Schulauswahlmannschaft, eine Karriere im militärischen Bereich, Autumn will wie ihre vor zwei Jahren bei einem Unfall verstorbene Mutter Tänzerin werden. Ihre Freundin Sylv unterstützt sie dabei, auch wenn sie sich eine Trennung von Autumn, die mehr als nur eine Freundin ist, nicht vorstellen kann. Sie wollte sich daher an derselben Uni wie Autumn einschreiben, aber ihre Mutter ist schwer erkrankt, weshalb Sylv voraussichtlich in Opportunity bleiben muss. Tomás ist Sylvs Zwillingsbruder, er war früher der Schrecken der Highschool, bis Tyler kam, der Bruder Autumns, der durch den Tod der Mutter völlig aus der Bahn geworfen wurde. Tomás hat mit der Schulleiterin ein stilles Einverständnis erzielt, dass er sich in seinem letzten Jahr benehmen wolle – ihn bestimmt die Sorge, dass seine kranke Mutter von ihm ein falsches Bild erhalte und dadurch enttäuscht werde.
Zusammen mit seinem Freund Fareed sind beide ins Direktorenzimmer eingedrungen, um herauszufinden, ob Sylvs Sorge, dass Tyler wieder zurück an die Highschool käme, zuträfe. Kaum haben sie den Beweis gefunden, ertönen die ersten Schüsse aus der Aula. Diese werden auch von Claire, die zusammen mit ihrer Laufmannschaft auf dem Sportplatz trainiert, gehört. Wenige Minuten später ist allen, die sich außerhalb der Aula befinden, klar: Deren Türen sind verschlossen und im Inneren lebt jemand seine Wut und Rache aus. Die ersten Nachrichten dringen nach draußen, Claire und Chris laufen zur Polizeistation. Auf dem Schülerparkplatz finden sie den ersten Toten – den jungen Polizisten, der vor der Schule für Sicherheit sorgte. Sie erkennen das Fahrzeug des Täters, das voller Munition und Waffen ist – es ist Tyler, Autumns Bruder. Ein Wettlauf mit der Zeit und dem Tod beginnt. Erste Erfolge sichern zwar die Möglichkeit, Traumatisierte und Verletzte unter höchstem Sicherheitsgebot zu evakuieren, aber der Täter hat sich im Schulgebäude verschanzt und ist noch nicht geortet. Seine Wut hat ihren Höhepunkt längst überschritten, der Wahnsinn des Mordens hält ihn in seinen Armen. Endlos scheinen die Minuten zu verrinnen, die Retter sind machtlos, sie können das Gebäude nicht stürmen, ohne das Leben derer zu gefährden, die sich noch im Gebäude befinden. Weiterhin ist die Lage unklar.
Jeder Protagonist hat am Ende Verluste zu beklagen, sei es das eigene Leben, das des Bruders, das eines Freundes oder die berufliche Zukunft. Dennoch schweißt dieses schreckliche Geschehen die Gemeinschaft der Opportunity High zusammen. Am Ende verbinden sich die Angehörigen der Abschlussklassen und halten an der Tradition, die ihr ebenfalls getöteter Englischlehrer an der Schule eingeführt hat, fest: Sie entzünden Himmelslaternen, in den früheren Jahren verbunden mit Wünschen für die Zukunft, in diesem Jahr mit den Namen der Opfern, verbunden mit guten Gedanken an sie, an den eigenen Überlebenswillen.
Eine eindrucksvolle Geschichte, die emotional mitnimmt, die den Leser die qualvollen Minuten emotional und mental miterleben lässt, die aber auch zeigt, dass der Täter eine Familie und eine Geschichte hat. Ein solches Ereignis kann nur durch die und mit der Gemeinschaft getragen werden, es wird Jahre, Jahrzehnte benötigen, bis die traumatisierenden Erlebnisse verarbeitet sind – und unter diesem Aspekt werden sicherlich weitere Opfer zu beklagen sein.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Weitere Rezensionen zu Büchern von Nijkamp, Marieke

Nijkamp, Marieke

54 Minuten: Jeder hat Angst vor dem Jungen mit der Waffe

Weiterlesen