Zweite Generation. Was ich meinem Vater nie gesagt habe

Autor*in
Kichka, Michel
ISBN
978-3-7704-5505-8
Übersetzer*in
Pröfrock, Ulrich
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
112
Verlag
ehapa
Gattung
Comic
Ort
Köln
Jahr
2014
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
19,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

„Zweite Generation“ handelt von Michel Kichkas Familie und dem Schatten der Vergangenheit, der die Familie auf Schritt und Tritt begleitet: Michels Vater hat als einziger seiner Ursprungsfamilie Auschwitz überlebt. Die Geschichte basiert auf einer wahren Geschichte und ist autobiographisch verfasst. Michel Kichka ist zugleich Protagonist und Autor in einer spannenden und tiefgründigen Familiengeschichte, die als Graphic Novel sehr besonders erzählt wird.

Beurteilungstext

Michel Kichka ermöglicht in seinem Werk „Zweite Generation. Was ich meinem Vater nie gesagt habe“ einen tiefen Einblick in seine Familiengeschichte, die dominiert wird durch die Vergangenheit seines Vaters Henri. Henri wurde 1926 geboren und 1942 nach Auschwitz deportiert. Dort wurde seine ganze Familie von den Nationalsozialisten ermordet, nur Henri überlebte. Die traurige Vergangenheit Henris liegt wie ein dunkler Schatten über der Familie Kichka. Sie ist immer präsent, z. B. beim Essen: „Diese Suppe erinnert mich an Auschwitz. Wisst ihr wieso? – Nein Papa! – Weil es dort so etwas nicht gab!“, oder beim monatlichen Internatsbesuch „Ich konnte die Schule nicht besuchen wegen der Nazis. Also sei du immer Klassenbester, versprochen?“ Michel Kichka illustriert eindrucksvoll, welche Gedanken und Gefühle ein Kind, insbesondere den Sohn eines Auschwitzüberlebenden, herumtreiben. Er schreibt von seiner Angst, seinen Vater auf Fotos von Häftlingen nicht erkennen zu können und von der Angst, ihn zu erkennen. Er schreibt von der Angst, seinen Vater an den Folgen der Misshandlungen sterben zu sehen, wie sein Vater seinen Opa. Und er schreibt von der Wut und der Traurigkeit über die Omnipräsenz der Leidensgeschichte des Vaters und dem Mangel an Platz für das eigene Leben. So weit, dass bei der Beerdigung seines Bruders Charly, der sich das Leben genommen hat, sein Vater von seiner Zeit im Konzentrationslager berichtet und nicht über seinen Sohn Charly selbst spricht. Michel Kichka schreibt dazu, Charly sei ein weiteres Opfer der Shoa. Es scheint eine Lebensaufgabe für die ganze Familie zu sein, mit dem Trauma des Vaters umgehen zu lernen.

Ein tiefgründiges Buch, das historisches Lernen ermöglicht anhand einer Familiengeschichte. Es zeigt die tiefe Tragik, die Teil des israelischen kollektiven Traumas darstellt in sehr gefühlvoller und intensiver Form.
Michel Kichkas schwarz/weiße Zeichnungen sind klar und ausdrucksstark. Sie unterstützen den geschriebenen Inhalt, verleihen den Protagonisten, der Geschichte und den Gefühlen ein Gesicht. Im Epilog beschreibt Michel Kichka den Entstehungsprozess seines Werkes, in dem deutlich wird, dass „Zweite Generation“ auch ein Puzzlestück im Verarbeitungsprozess seiner Geschichte darstellt: „In dem Maße, in dem die Seiten Gestalt annahmen, spürte ich das Leben in mir aufsteigen“.
Es bietet einen besonderen Zugang zum Holocaust durch seine intensive Darstellung und durch seinen Fokus auf die zweite Generation – die Kinder der Überlebenden. Insofern kann dieses Werk als Puzzlestück gesehen werden zu einer neuen möglichen Erinnerungskultur, mit dem Zugang zum persönlichen Schicksal über die zweite Generation.

Der Comicroman bzw. die Graphic Novel „Zweite Generation“ bietet Anlass, sich inhaltlich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen aus der Perspektive eines Sohnes, dessen Vater Auschwitz überlebte. Das Genre Graphic Novel bietet besondere Identifikationsfläche; es entsteht Nachvollziehbarkeit für Handlungen der Protagonisten. Das besondere Potenzial liegt in der Kombination von Textpassagen und Bildern. Das Bild ist immer auch Ergänzung, aber auch Interpretation des Textes, diese können bewertet und diskutiert werden. Insbesondere für Deutschlerner bietet die Kombination von Grafik und Sprache Unterstützung im Verstehensprozess. Es bietet sich an, über Kontinuitäten in Familien nachzudenken: Inwiefern lebt die Geschichte des Vaters in seinem Sohn weiter? Welche Kontinuitäten gibt es in meiner eigenen Familie?
In Schüleraustauschen mit Israel kann die Lektüre eine Annährung darstellen, das kollektive Trauma der israelischen Gesellschaft zu verstehen.

Michel Kichka ist 1954 in Belgien geboren und 1974 nach Israel emigriert. Er unterrichtet an der staatlichen Kunsthochschule „Bezalel Academy of Arts and Design“ in Jerusalem. Er arbeitet regelmäßig als Karikaturist. Das Buch „Zweite Generation“ nimmt uns mit auf eine Spurensuche in seinem Leben.

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Diese Rezension wurde verfasst von lko; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 25.02.2015