Zwei von jedem

Autor*in
Lagercrantz, Rose
ISBN
978-3-89565-419-0
Übersetzer*in
Kutsch, Angelika
Ori. Sprache
Schwedisch
Illustrator*in
Lagercrantz, Rebecka
Seitenanzahl
116
Verlag
Moritz
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Frankfurt
Jahr
2021
Lesealter
8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
14,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Eli und Luli sind neun Jahre alt und unzertrennlich. Doch irgendwann folgt Luli ihrem Vater in die USA. Elis Weg hingegen führt ins Konzentrationslager. Er überlebt knapp und zieht nach Schweden. Dort kommt eines Tages ein Brief aus New York an.

Beurteilungstext

„Zwei von jedem“ ist ein echtes Juwel im weiten Feld der KJL, ein Werk, das einen Literaturpreis verdient hat! (Wie Ch. Paxmann im Eselsohr 10/21 begeistert fordert)! Rose Lagercrantz, die schwedische Autorin dieses, wunderbar von Ihrer Tochter Rebecka illustrierten, Schatzes hat bereits eine Reihe von Jugendbüchern über den Faschismus und den Holocaust veröffentlicht, die auf den Berichten von Überlebenden basieren. Aber als sie gefragt wurde, ob sie für Kinder im Grundschulalter aus Anlass von „75 Jahre Auschwitz“ ein Märchen schreiben könnte, lehnte sie zunächst ab, denn „der Nationalsozialismus, der Antisemitismus sind keine Märchen“.
Im Interview für das Jüdische Museum in Frankfurt sagt sie zu diesem Konflikt: „Geschichten müssen nicht wahr sein, aber es müssen echte Geschichten sein. Es ist also ein Märchen, eine Fiktion entstanden, sonst hätte ich die Geschichte so nicht schreiben können.“ So wurde es eben doch ein Märchen, denn „die Liebe, die sich in dieser Erzählung zu Anfang zwischen zwei Kindern abspielt kann das Entsetzliche zwar im wirklichen Leben nicht ausgleichen, aber jedenfalls im Märchen. Und so wurde es ein „wahrhaftiges“ Märchen.“
Handlungsleitend für die berührende Erzählung ist das Motiv der Zweiheit (erinnert an biblische Geschichten z.B. die Sintflut): In der Stadt, in der die beiden Kinder leben, gibt es zwei Flüsse, zwei Hauptstraßen, zwei Friedhöfe und sogar zwei Sprachen: Ungarisch und Rumänisch und viele sprechen sogar noch eine Sprache, nämlich jiddisch, die Sprache der Juden. (S. 37) Und vom Sabbatbrot Challe, von Luli „Freitagsbrot“ genannt, backt Elis Mutter immer zwei und antwortet auf Lulis Frage, warum es zwei von jedem sein müssen: „Damit niemand allein ist, nicht einmal das Brot.“ (S. 32)
Es beginnt als Freundschaftsgeschichte zwischen Eli, aus dessen Perspektive rückblickend erzählt wird, und Lulinka, genannt Luli. Beide Familien sind sehr arm und Luli (mutterlos und der Vater weit weg in den USA), die mit ihrer Schwester bei einer alten Tante lebt, ist immer hungrig. So teilt Eli seine Brote (und auch alles sonst) mit ihr und sie rennen um die Wette, denn das schnelle Laufen lieben beide. Die Bonbons vom alten Isaak, dem Stoffhändler, bei dem Eli mit seiner Mutter und dem älteren Bruder Adam gegen Kost und Logis lebt, sind wertvolle Schätze, die sie in einer Dose im Garten verstecken. Eli ist glücklich, wenn Luli lacht und sie zusammen sind. Aber dann müssen sie sich trennen, denn das Ticket für die Überfahrt in die USA ist gekommen und Eli bleibt allein zurück. Er wartet vergeblich auf einen Brief und verbietet sich sogar, daran zu denken: „Es dauerte lange, ehe ich aufgab… Aber was machen Gedanken? Genau das, was sie wollen.“ (S. 68)
Die selbstverständliche Solidarität der beiden Kinder, ihre enge Freundschaft, einer Seelenverwandtschaft gleich, und das normale Alltagsleben der Kinder und ihrer Familien im längst zerstörten und verlorenen Kosmos der osteuropäischen Stettl schildert Lagercrantz in einer klaren, warmherzigen und zugleich schwebend leichten Sprache, die die Kinder niemals überfordert. Auch dann nicht, als der Krieg mit Soldaten näherkommt und schließlich die faschistische Soldateska die Macht übernimmt. Schlag auf Schlag folgen die Gesetze der Entrechtung – jüdische Familien dürfen kein Radio hören, müssen den gelben Stern tragen, werden ghettoisiert und schließlich deportiert. An dieser Stelle lässt Lagercrantz Eli und ihrer jungen Leserschaft eine Pause.
Erst viel später erkennt der erwachsene Eli, dass hinter der Entrechtung und der Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung der mörderische und verbrecherische Plan der Vernichtung stand: „Heute ist mir klar, was sie im Sinn hatten. Wir sollten nicht länger leben.“ (S. 72) In Bergen-Belsen, der letzten Station des Leidens, ist Eli dem Tode nah (schon zum 2. Mal) und fühlt sich seiner Freundin ganz nah: „Und du, Luli, musst dich an mich erinnern. Sonst ist es, als hätte es mich nie gegeben.“ (S. 80) Das Lager wird befreit und Eli wird zu einem Überlebenden. Dann nach dem Krieg in der neuen Heimat Schweden erreicht ihn – endlich! – der ersehnte Brief von Luli, der es in den USA nicht so ergangen ist, wie erhofft und die auf ihn wartet. So geht diese Geschichte dann doch gut aus: Eli lernt Englisch, reist zu Luli und nach anfänglichem Fremdheitsgefühlen ist die Liebe wieder da. Sie heiraten, eröffnen eine Bäckerei und als ihre beiden Kinder nach der Kindheit und Jugend des Vaters fragen, stellt er sich den Erinnerungen indem er sie aufschreibt. Und ihm wird bewusst, wie sehr er seine Luli braucht: „Denn in meinem Leben gibt es immer zwei von jedem, aber nur eine Luli. (S. 109)
Die zarten Aquarelle von Rebecka Lagercrantz zeigen in vielen kleinen Bildern Szenen jüdischen Alltagsleben, illustrieren und spiegeln damit die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf anschauliche Weise und unterstützen die Leseweise dieser Erzählung als Chronologie einer Rettung und einer Hymne an die Liebe.
Dieser Literatur-Schatz sollte nicht nur einen Preis bekommen, sondern einen festen Platz in der Literatur über Faschismus und den Holocaust für jüngere Kinder und in der Schule bekommen.
So möchte ich diese Rezension enden mit dem Schlusssatz aus der Rezension des Buches durch Ute Wegmann in 1001 Buch (4/2021, S. 60): „Kann man über den Holocaust für Grundschulkinder schreiben? Man kann! Wenn man Rose Lagercrantz heißt!“

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von SRAn; Landesstelle: Hessen.
Veröffentlicht am 26.01.2022

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