Zeit für Astronauten

Autor*in
Mohl, Nils
ISBN
978-3-499-21678-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
425
Verlag
Rowohlt
Gattung
Ort
Reinbek
Jahr
2016
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
14,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Kevin Körts, fast 16 Jahre alt, wohnt in einem der Hochhausriegel beim Einkaufszentrum und absolviert sein Schulpraktikum in einem Reisebüro. Durch Zufall gelingt es ihm dort, Domino, der Anfang zwanzigjährigen Nachbarin, in die er unsterblich verliebt ist, einen Schritt näher zu kommen. Sie will eine Reise antreten, um ihren Ex-Mitbewohner wiederzutreffen. Körts liefert die notwendigen Informationen, reist ihr heimlich nach und schafft es tatsächlich, mit ihr ein echtes Abenteuer zu erleben.

Beurteilungstext

Dieser Roman darf als dritter Teil von Mohls Trilogie gesehen werden, die mit „Es war einmal Indianerland“ und einer Geschichte über die Liebe begann, mit „Stadtrandritter“ seine Fortsetzung über die Bedeutung des Glaubens fand und nun mit „Zeit für Astronauten“ dem Thema Hoffnung ein Zeichen setzt: „Hoffnung kann einen fertigmachen, weißt du das? Je aussichtsloser die Lage, desto mehr hofft man. Aber Hoffnungen zerstieben. Was denn, wenn Geld gar nicht die Währung für alles ist? Was, wenn es darum geht, sich nicht immer nur für sich selbst zu interessieren?“ (S. 359 f.)

Selbstverständlich erreicht man ein tieferes Verständnis, wenn man die beiden Vorgängerromane kennt. Auf der eine Seite tauchen einzelne Figuren in allen drei Teilen auf, auf der anderen Seite – und dies ist sehr viel bedeutsamer – ist die innovative Erzählstruktur die verbindende Klammer: Nirgends wird linear erzählt. Alle drei Geschichten leben von Analepsen und Prolepsen, die durch die vom Kassettenrecorder bekannten Rewind-/ und Forward-Tasten kenntlich gemacht werden. Dieses Hintergrundwissen ist nützlich, aber kein Ausschlusskriterium, „Zeit für Astronauten“ auch als eigenständiges Buch wahrzunehmen und als solches zu verstehen. Neu in diesem dritten Teil sind die programmatischen Vorausdeutungen, die jeweils mit „Futur 2“ betitelt werden und kleine Einblicke in potentielle Lebensentwürfe von Kevin, Domino und Bozorg geben.

Der inhaltliche Plot ist allein in diesem Werk durchaus differenziert und so auch strukturell anspruchsvoll passend auf die Entwicklungsschritte der Protagonisten gegliedert: Das Buch besteht aus vier Teilen. Zuerst lernen die Leser die Ausgangssituation von Kevin Körts kennen. Im zweiten Teil verbindet sich Dominos Geschichte in die Geschehnisse. Im dritten Teil wird Bozorgs Situation geschildert. Alle diese drei Großkapitel werden jeweils aus der Sicht eines personalen Erzählers geschildert, sodass die im Mittelpunkt stehenden Charaktere sich mit all ihren Besonderheiten sehr tiefgängig, exakt und schillernd entfalten können. Der vierte und letzte Teil ist wiederum in sieben Unterkapitel gegliedert. Hier erleben die drei Protagonisten im 3000 km südlich gelegenen Sinillyk ihre persönlichen Schlüsselmomente. Nebenbei: Alle im Buch genannten Orte existieren in der Realität nicht; liest man Sinillyk, den Hauptspielort der Handlung, allerdings rückwärts, so heißt es Kyllinis – wie beliebte Ferienorte in Griechenland. Ähnliche Hinweise auf diesen Schauplatz liefern ein griechischer Ausspruch (STO EXÍS, TA PARÁSITA!”, S. 379) sowie der Ortname Soraki, der rückwärts gelesen Ikaros ergibt.
„Zeit für Astronauten“ ist in vielerlei Hinsicht ein moderner Adoleszenzroman, der die klassischen Themen des Erwachsenwerdens umfassend behandelt: die erste große Liebe, wenn auch unerfüllt, die Ablösung vom Elternhaus, die Suche nach dem eigenen Glück und der individuellen Persönlichkeit sowie schlussendlich die Initiationsreise als Auslöser für den eigenen Entwicklungsprozess. Genau damit setzt auch die Haupthandlung ein.

Körts absolviert sein Schulpraktikum in einem Reisebüro und ist hoffnungslos in die ca. fünf Jahre ältere Domino verliebt und versucht alles, um mit ihr in Kontakt zu treten. Domino allerdings will gar nichts von ihm wissen und beschwert sich sogar bei Körts Eltern über seine pubertären und obszönen Annäherungsversuche. Eines Tages kommt Domino mit einer Postkarte in das Reisebüro, auf der die Bar „Shangri-LaBamba“ abgebildet ist, zu der sie gerne reisen möchte. Die Karte hat ihr ehemaliger Mitbewohner Bozorg geschickt, der nach dem tödlichen Unfall seiner damaligen Freundin Kitty spurlos verschwand. Körts meint zu wissen, dass sich diese Bar in Sinillyk befinden muss, weil er kurz vorher den Schauspieler Valentin Tiller kennengelernt hat, der wiederum seinen nächsten Urlaub genau dort verbringen möchte. Obwohl die Empfehlungen von Körts alles andere als realistisch klingen, macht sich Domino auf den Weg und Körts reist ihr kurze Zeit später mit viel Einfallsreichtum und einer Krankmeldung fürs Praktikum hinterher.

Während Domino im Süden den Kontakt zu Bozorg reaktivieren möchte, versucht Körts die Nähe zu Domino zu intensivieren. Bozorg hingegen versucht, seine Vergangenheit mit einem Romanprojekt zu bewältigen und ein neues Leben mit Jackie zu beginnen. Auf unerwartet märchenhafte Weise finden die drei Protagonisten zueinander. Bei einem Aufeinandertreffen von Bozorg und dem Schauspieler und Regisseur Tiller wird klar, dass es „Shangri-LaBamba“ eigentlich gar nicht gibt, sondern dass Bozorg diesen fiktiven Ort beim Tagebuchschreiben erfunden hat: „Ein Ort, den man selbst erschafft, bevor man ihn entdeckt. Und den man nicht mehr verlassen kann, wenn man mal da ist“. (S. 278).

Als Domino dies nachvollzieht erkennt sie recht schnell: „wie unwirklich diese Begegnung ist. Welche Entfernungen hinter ihnen liegen, in Kilometern, in Ereignissen, in Stunden Tagen Monaten.“ (S. 331). In ihren Rückblicken erfahren die Leser dann auch, dass sie die Reise nutzt, um über die ungeplante Schwangerschaft nachzudenken. Körts entwickelt sich parallel dazu von einem pubertierenden Teenager ohne Weitsicht zu einem verantwortungsvollen Menschen, der ihr am Ende sogar anbietet, das Kind mit groß zu ziehen.

Der Roman endet damit, dass sich Körts und Domino mit vielen neuen Erfahrungen und einer ungeplanten Freundschaft auf den Nachhauseweg freuen.
Insgesamt betrachtet bietet dieser Roman viele anthropologische Gedankengänge durch die verschiedensten Gefühlswelten der Protagonisten, zahlreiche Identifikationspotentiale aufgrund der unterschiedlichen Charaktere und viel Freiraum zur eigenen Interpretation. Die sprachliche und strukturelle Gestaltung des Romans ist progressiv und außergewöhnlich. Neben dem bereits dargestellten Aufbau formuliert Mohl sehr metaphorisch und verleiht seinen Darstellungen damit einen ganz besonderen fantasievollen Wert: „Licht fließt über die Hügel.“ (S. 329). Dialoge werden nicht als solche durch Anführungsstriche, sondern durch Bindestriche zu Beginn gekennzeichnet, Aufzählungen werden nicht durch Kommas getrennt: „Prachtvolle Frühlingsblüte: Hibiskus, Bougainvillea Oleander.“ (S. 354).

Schnell merken die Leser, dass Mohl auch mit seiner Ausdrucksweise in einer erfundenen Welt abtaucht. Darauf sollte man sich einlassen können. Neben eigenen Wortneuschöpfungen und die exzentrisch anmutenden Charaktere können die 425 Seiten Buchumfang eine Herausforderung darstellen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Veröffentlicht am 01.07.2016

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