Wörter auf Papier

Autor*in
Vawter, Vince
ISBN
978-3-551-56001-8
Übersetzer*in
Herzke, Ingo
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
285
Verlag
Carlsen
Gattung
Ort
Hamburg
Jahr
2014
Lesealter
12-13 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
16,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Der 11-jährige Victor schreibt diese Erzählung auf der Schreibmaschine, weil er so stottert, dass er sie sonst nie zu Ende brächte. Für drei Wochen vertritt er seinen besten Freund als Zeitungsausträger. Die Begegnungen mit den fremden Menschen verändern ihn so stark, dass er, ohnehin reifer als Gleichaltrige, über sich selbst hinaus wächst. Mum, seine schwarze Ersatzmutter, hilft ihm mit ihrer Liebe und Tatkraft - das ist auch nötig, als ihm sein ganzes Geld geklaut wird.

Beurteilungstext

Dass Vince Vawter das Stottern seines jungen Helden sehr genau kennt, liest man schon auf den ersten Seiten. Intensiver kann man das nicht beschreiben, zu erkennen ist das sofort am typografischen Satz: Wörtliche Rede ist eingerückt, der Innere Monolog normal gesetzt. Es fällt auf, wie wenig direkt gesprochen wird und dass Victor viele, viele Sätze durchdenkt, um nur einen kurzen Satz sprechen zu können. Alles beherrscht die Angst, sich nicht verständlich machen zu können. Der ""kleine Mann""( so der Kosename seiner Mum) weiß genau, welche Konsonanten ihm die größten Schwierigkeiten machen. Also arbeitet er mit zusätzlicher Luft und sucht nach Möglichkeit Synonyme, die er leichter aussprechen kann. Das heißt auch, dass der Autor sich Zeit lässt, viel Zeit, alles das zu erklären, was sein Held nicht aussprechen kann oder vielmehr, wie er versucht herauszufinden, wie er die Sprachtücken am besten umgehen kann.
Victor amüsiert sich ein wenig über seine Mutter, die wenig Zeit für ihn und wenig Glück bei der Wahl ihrer Worte hat, sie greift fast immer knapp daneben. Der Sohn dagegen ist sich seiner Wortwahl sehr bewusst, schon alleine, weil es ja bei jedem Wort nicht nur darauf ankommt, dass es stimmt: Wenn man so wenig wie möglich spricht, um Stotterkavalkaden zu vermeiden, muss der reduzierte Satz um so präziser formuliert sein. Victor ist auch ein gründlicher und sorgfältiger Denker, logischerweise hat das Auswirkungen auf die Sprache. Dass Verhalten und Sprache ebenfalls zusammen hängen, führt ihm sein Vater vor. So wenig Zeit der hat, achtet er immer darauf, etwas Gemeinsames mit dem Jungen zu tun, seien es Ausflüge, Restaurantbesuche, Sport; unabhängig davon, wie ihm selbst zu Mute ist, wichtig ist es für ihn, sich mit dem Jungen zu beschäftigen. Victor erfährt zufällig, dass sein Vater gar nicht sein leiblicher Vater ist und bevor er jetzt genauer nachfragt und vielleicht die Eltern verletzt (die Handlung spielt im Sommer 1959 in Memphis, USA), achtet er vielmehr auf sich und seine Gefühle für den Vater - und er stellt fest, dass die bestehende Bindung wichtiger ist als eine Blutsverwandtschaft. Eine ganz schöne Reife zeigt der Junge da!
Der Junge kommt mit 11 Jahren das erste Mal überhaupt aus seinen gewohnten Bahnen heraus, als er jetzt die dreiwöchige Zeitungstour beginnt: Dort begegnet er Menschen, wie er sie vorher noch nie kennen gelernt hat, einem taubstummen Jungen, einer bildhübschen, unglücklichen und versoffenen jungen Frau, einem literarisch gebildeten Seemann in einem Haus voller Bücher und einer sehr umständlichen, sehr eingehenden Sprache, einem Lumpenhändler, der schließlich sogar den Jungen bestiehlt. Die eigentliche Heldin ist Mum, die Haushälterin, Putzfrau, Kindermädchen der Familie und eben ""Mum"", wenngleich sie anfangs den Namen eher deswegen bekam, weil der für Victor am leichtesten auszusprechen war. Sie ist die Resolute, die Gläubige, die immer einen Bibelspruch auf den Lippen hat, diejenige, die Victor auch dann versteht, wenn er nichts sagen kann oder will und die buchstäblich ihr Leben riskiert, wenn es darum geht, den ""kleinen Mann"" zu verteidigen. Diese Szene ist der dramatische Höhepunkt, furios beschleunigt sich die Erzählung bis zu dem Augenblick, in dem Mum beschließt: Darüber reden wir jetzt und dann nie wieder. Mums Gesetze sind für Victor heilig und so redet er erst wieder über 50 Jahre später darüber. Diese Geschichte, die er aber gleich danach aufgeschrieben hat, versenkt er in einem Verließ, das er nie wieder öffnet. Für die nächsten 50 Jahre.
Wenn Kinder und Jugendliche (der Ich-Erzähler ist genau dazwischen) etwas aus Büchern lernen können, dann ist es aus diesem: Wie man sich dem stellt, was einen daran hindert so zu sein, wie man eigentlich sein möchte, wie man aus dem lernen kann, was einem begegnet, wie man denken lernen kann. Cjh.14.10

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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