Wie die Wörter tanzen lernten. Eine erlebte Poetik.

Autor*in
Harig, Ludwig
ISBN
978-3-596-85357-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Zauleck, Franz
Seitenanzahl
213
Verlag
FISCHER Schatzinsel
Gattung
Ort
Frankfurt
Jahr
2009
Lesealter
ab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
19,95 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Ludwig Harig verfiel schon in früher Kindheit den Wörtern. Nicht irgendwelchen. Er liebte jene, die in Versen tanzten. Warum das so war und sich bis heute nicht geändert hat, erzählt er in einer etwas anderen Geschichte der Poetik.

Beurteilungstext

Schon in jungen Jahren entdeckt Ludwig Harig seine Liebe zum gereimten Wort. An Märchen faszinieren ihn Gedanken- und Klangfiguren, denen er immer wieder begegnete. Und so nimmt eine Karriere seinen Lauf. Vorbei an poetisch verklärter Pferdeschlachtung und Wirtshausprügeleien hin zu erhebenden Liedern und Gedichten, gesungen von der Mutter und Großmutter. Diese waren zu Tränen gerührt - allein durch die Kraft der Worte, die sie sangen. Wo sonst strenge Erziehung herrschte, rannen weiche Tränen - "Ännchen von Tharau" machte es möglich. Der Autor hingegen liebte den Struwwelpeter und Wilhelm Buschs "Max und Moritz", ergriffen von der konsequenten Formkunst der Verse. Das zurückgenommene Feuerzeugmädchen (mit Auftakt am Versbeginn), "Max und Moritz" hingegen, mit der Tür ins Haus (eine betonte Silbe am Anfang jeden Verses). Und Harig begreift: "Wie der Mensch steht und geht auch der Vers auf Füßen." So beginnt die Reise durch Jambus, Trochäus und Anapäst, Hexameter und Alexandriner. Und über den Reiz des ABCs hinaus lockt die Kunst mit moralischer Macht, denn nur was verschriftlicht ist, geht über von faulem Zauber zum Tatsächlichen, Wahrhaftigen. Da ist die Bibel wie Kants Schriften, schreibt Harig. "Und immer steht das ABC dahinter. Fatale Krux mit der Weisheit!" Eine Hymne auf die Schrift also lesen wir hier, die Kraft der Buchstaben, die Weisheit und Erkenntnis für die Menschheit erst greifbar und nutzbar macht. Denn anders als Wilhelm Busch ist Harig sicher "Ganz allein das ABC bringt den Menschen in die Höh'!"
Auch die gelebte Politik lässt sich in der Dichtung ablesen: Die Hitlerzeit etwa, hart und kantig, germanisch. Stabreime mit "gedrungener Wucht", die Begeisterung für die alten Germanen gipfelt in einem neuen Wagner. "Winterstürme wichen / dem Wonnemond - / im milden Lichte / leuchtet Lenz; / Wunder webend / er sich wiegt; (...)" Das der Stabreim hier nur instrumentalisiert wurde, jedoch nicht von sich aus bösartig ist, beweist Rilke 1901 im Stundenbuch: "Jetzt reifen schon dir roten Berberitzen, / alternde Astern atmen schwach im Beet. / Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht, / wird immer warten und sich nie besitzen." Geliebt wird immer schon die ordnende Kraft des Reimes, die strukturierende Macht der Verse. Doch das kann einengen. Und so sprengen auch die Dichter die alte Ordnung. Der Dithyrambus, ein Reimschema mit "Bewegungsfreiheit" entsteht. "Die Wahrheit Freier? / Nein! Nur Narr! Nur Dichter! / Nur Buntes redend, / Aus Narren-Larven bunt herausschreiend (...)." Ja, auch Nietzsche bricht aus Daktylen und Anapäst aus, wenn es um die Freiheit geht. So geht es fort, bei Harig. Hexameter des Ovids, die Parodie Buschs darauf, "zum Hexameter tritt nämlich der Pentameter hinzu, dem daktylischen Hexameter folgt der gleichgebaute Pentameter mit seiner scharfen Zäsur in der Mitte des Verses. Sie setzt eine winzige Denkpause, die dem Doppelvers - genant Dichtichon - seine pikante Würze gibt." Ein Denkpause braucht der Leser nun auch, bei so viel Begeisterung für Meter aller Art. Weiter geht es mit der Romantik (auch die in Versen selbstverständlich, nachzulesen bei Heinrich Heines Meisterstück "Don Ramino"), dem trochäischen Takt und ihrer Assonanz. Morgenstern, herzerfrischend, "Der Gaul". Dann ein "Hoch auf das Sonett", der fünffüßige Jambus im Alexandriner und so weiter und so fort. Die Nibelungen freilich, der Abstecher in die mittelhochdeutsche Dichtung, dann die Nähe von Reim und Note, Rhythmus und Klang - um mit Sartre zu sprechen "weshalb die Negerpoesie die einzige große revolutionäre Dichtung unserer Tage ist." Die Gruppe 47 schließlich räumt auf und macht Inventur.
Zwischen all den Worten tanzen kleine Zeichnungen. Franz Zauleck hat sie gezeichnet und bringt den Buchstaben auf seine Weise das Tanzen bei. Wunderbar leicht, schwebend.
Wer bis hier durchgehalten hat liest folgendes: "So komme ich mit Lust auf die neunzehn Tanzstunden zurück, die wir miteinander absolviert haben. (...) Das Wort ist mein Tanzpartner. So wie mir selbst mache ich auch ihm Beine, mach ihm Feuer unter dem Hintern, damit es mit mir bis zum Kehraus tanzt." Der selbsternannte "Luftkutscher" hat geendigt. Ermattet liegen wir am Boden, verwirrt von Takten, Silben, Reimen. Soviel kann man nur in kleinen Häppchen ertragen. Wer sich ein wenig ordnen möchte, liest am Ende das Glossar.

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Diese Rezension wurde verfasst von ar.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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