Werther reloaded.
- Autor*in
- Walther, Franziska
- ISBN
- 978-3-942795-37-1
- Übersetzer*in
- –
- Ori. Sprache
- –
- Illustrator*in
- Walther, Franziska
- Seitenanzahl
- 220
- Verlag
- Kunstanstifter
- Gattung
- Buch (gebunden)Comic
- Ort
- Mannheim
- Jahr
- 2016
- Lesealter
- ab 18 Jahre
- Einsatzmöglichkeiten
- Bücherei
- Preis
- 24,50 €
- Bewertung
Teaser
Im Titel deutet sich bereits an, dass eine Werthiade des 21. Jahrhunderts vorliegt. Das stimmt insofern, als es um eine Übersetzung des Motivs in die gesellschaftliche Situation der Gegenwart ist, es ist jedoch strittig mit Blick auf den Übertrag der Themen. Denn dieser Werther stellt Themen wie Zwangsstörungen, Großstadteinsamkeit und -identität deutlich ins Zentrum seiner grafischen Erkundungen. Die künstlerische Ausführung der storyworld zieht jedoch auf ganz eigene Weise in ihren Bann.
Beurteilungstext
Wir sehen einen jungen Mann im New York der Gegenwart in seitenfüllenden Panels und kleinteilige Sequenzen wandeln. Als Art-Direktor lebt er zwischen Einsamkeit, Partys, unverbindlichen Sex und Zählzwang. Auf den ersten 40 Seiten gibt es kaum Text und als Leser/ in rätselt man, wann nun endlich die "Werther- Geschichte" einsetzt. Der Protagonist flieht in die Natur, dort werden die großformatigen Texte dann auch mit Originaltexten "überblendet", jedoch bleibt inhaltlich bis auf die belebende Wirkung der Natur die Verbindung zwischen Bild und aufgerufenem Originaltext sehr vage, die Bilder dienen vielmehr als ein bunter Teppich, der durch Farblichkeit und Stil die Verbindung zum ersten Teil herstellt. Auf S. 56 (also nach mehr als der Hälfte der eigentlichen Bildgeschichte) beginnt dann die Einführung der erwarteten Adaption (im Sinne des berühmten Liebeskontexts): Die Sequenz um Werther und Lotte fällt jedoch kurz aus und wird bildästhetisch durch die Rückkehr in den Zählzwang und die Stadt jäh abgebrochen. Das Ende stellt dann nicht der Selbstmord dar, vielmehr begibt sich der Protagonist nach einem Selbstmordversuch in eine Nervenklinik, in der sich ihm ‚neue Wege‘ eröffnen. Wie im Originaltext gibt es auch hier einen Wilhelm, der allerdings nicht der einzige Adressat der Nachrichten ist – die Briefkommunikation aus den "Einwebungen" des Goethetextes wird durch Social-Media-Texte ergänzt, in denen Werther zumeist symbolische Bilder mit Hashtags postet. Interessant ist dabei, welche Ereignisse Werther teilt – angefangen bei dem Flug in den Urlaub (#Buybuy NYC #happy; 123 Likes) über die ersten Anzeichen der Liebe (#DejaVu#Love; 25 Likes) bis hin zum letzten Post mit dem Bild der Klinik (#Selbstbestimmt#loveyourself; 49 Likes). So wird der neurotische Werther im Kontext gegenwärtiger Selbstinszenierung platziert, in der die Kommunikation nicht einem individualisierten Briefpartner, sondern einer Gemeinschaft von „Freunden“ oder „Followern“ gilt.
Der eigentlichen graphischen Erzählung von Werther reloaded folgt eine knappe Motivation des Vorhabens der Zeichnerin, Erläuterungen zur graphischen Inszenierung sowie der Originaltext von Goethe. Zwei Lesebändchen deuten hier eine mögliche Parallellektüre an, die aufgrund der vollkommen eigenständigen Umsetzung jedoch nur insofern möglich ist, als dass dann ein ganz eigener Resonanzraum entsteht. Vergleiche scheinen hier wenig machbar.
Möglicherweise funktioniert diese Graphic Novel also genau dann gut, wenn der Gegenstand ohne den expliziten Bezug zu Goethes Werther betrachtet wird. Denn der von der Autorin im "Nachwort" angedachte Dialog zwischen dem berühmten Original und ihrer Erzählung ist aufgrund der thematischen Eigenständigkeit und der zusätzlichen bildlichen Herausforderungen doch kaum leistbar.