Wer schnappt Ronaldo? Kopfgeld auf ein Chamäleon

Autor*in
Tienti, Benjamin
ISBN
978-3-7513-0109-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Davies, Bea
Seitenanzahl
175
Verlag
Dressler
Gattung
Erzählung/RomanBuch (gebunden)
Ort
Hamburg
Jahr
2024
Lesealter
8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüreVorlesen
Preis
15,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Wie sehr kann man seine Familie lieben, wenn man zu Acht in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mitten in Berlin wohnt und noch dazu einen Raum mit zwei nervigen Kindergarten-Brüdern teilt!? Die 12jährige Nivin wünscht sich nichts mehr, als Ruhe und ein eigenes Zimmer. Dafür muss viel Geld her und das kann Nivin bekommen, indem sie einen spannenden Detektiv-Auftrag annimmt.

Beurteilungstext

Nivin ist Mitglied einer veritablen Großfamilie inmitten Berlins. In einer Zwei-Zimmer-Wohnung auf der Sonnenallee lebt sie sehr beengt mit Mama und Papa, ihren nervigen kleinen Brüdern Amal und Abudi und seit kurzem auch wieder ihrem erwachsenem Bruder Rabi sowie dessen Frau und dem gemeinsamen Baby. Dass die achtköpfige Familie, in der alle das Herz auf dem rechten Fleck haben, Migrationshintergrund hat, wird nicht thematisiert und erschließt sich den Leser:innen aus den arabisch klingenden Namen der einzelnen Familienmitglieder.

Zu Acht in einer Zwei-Zimmer-Wohnung stellt sich für Nivin ein akutes Problem: "Bei mir zu Hause bist du allerhöchstens zum Kacken allein", wie sie als Ich-Erzählerin ihren Leser:innen direkt im ersten Satz des Buches (Seite 5) erklärt. Doch Nivin ist Realistin, sie weiß, dass man in Berlin eine einmal gefundene Wohnung auf keinen Fall aufgibt, schließlich leben selbst getrennte Paare weiterhin in gemeinsamen Wohnungen aufgrund der Wohnungsnot. Rabi müsste mit Frau und Baby in eine eigene Wohnung ziehen – doch das geht nur, wenn die Kleinfamilie eine Kaution von 4000 Euro aufbringen kann.

Als Nivin im Kleingartenverein durch Zufall eine Vermisstenanzeige für das Chamäleon Ronaldo entdeckt, ist ihr klar, dass sie den Finderlohn in Höhe von 5000 Euro einstreichen muss, um endlich ein eigenes Plätzchen in der elterlichen Wohnung ergattern zu können.
Eine spannende Suche startet, bei der Nivin viele interessante Bekanntschaften macht: Madame Mona, die coole junge Wahrsagerin; Heinz, das Kleingarten-Urgestein in Schürze und Unterhose; Hadi, den sympathischen Sickergruber-Absauger und natürlich "Bonzenkind" (S. 97) Linus – der ernstzunehmende Konkurrent aus dem feinen Stadtteil Schöneberg.

Es wird nicht an Vorurteilen gespart gegenüber Arabern und 'Kartoffeln' (=Deutschen). Aber Nivin strahlt so eine bemerkenswerte, frische Offenheit aus, dass sie es schafft, mit quasi jedem Freundschaft zu schließen. Dagegen können sich weder die gleichaltrige, schnippische Mia aus der Kleingartensiedlung wehren noch der griesgrämige Rentner Heinz. Nebenbei gewinnt Nivin so auch die Herzen ihrer Leser:innen.

Bleibt am Ende noch die Bande von Kindern aus den Hochhäusern, einem offensichtlichen sozialen Brennpunkt. Gelingt es Nivin, sich ihren Traum zu erfüllen oder macht die Bande ihr einen Strich durch die Rechnung? Dank Nivins erfrischender Art gibt es keine Schwarz-Weiß-Malerei von Gut und Böse. Denn wie erklärt Heinz so weise: "... mit Menschen kannst du reden, sag ich immer." (S. 123).

Es gibt also ein "gutes" Ende, so viel sei verraten. Nivin bekommt auf ganz unerwartete Weise viel Platz für sich allein und dazu noch einen Strauß neuer Freunde.

Das Buch ist flüssig und in altersgerechter Sprache geschrieben. Das ein oder andere Schimpfwort möchte durch die Hauptfigur Nivin Eingang ins Buch finden, wird aber meist auf lustige Weise gestoppt – man ahnt natürlich, welches "böse" Wort es sein sollte.

39 überschaubare Kapitel lösen einander kurzweilig ab, man möchte das Buch nicht gerne aus der Hand legen. Kleine Chamäleon-Vignette leiten die Kapitel ein, comicartige kleine Illustrationen bilden treffsicher die selbstbewussten und unkomplizierten Protagonisten ab und runden die Kapitel auflockernd ab.

Was das Buch so bemerkswert macht, ist einerseits der erfrischende Sprachstil, der nicht anbiedernd sondern authentisch erscheint. Dabei ist es schon eine besondere Leistung für einen Autor, in einem Kinderbuch ab neun Jahren sowohl im ersten Satz des Buches wie auch auf dem Klappentext das Wort "Kacken" unterzubringen ohne dass dies derb oder anstößig wirkt.
Ebenso überzeugend gibt der in Deutschland geborene Benjamin Tienti, der selbst migrantische Wurzeln hat, Einblick in die Lebensrealität einer modernen Araberin aus der Hauptstadt.

Viele Kinder – egal welcher Herkunft – wird das begeistern, denn von Kindern, die in Friede-Freude-Eierkuchen-Reihenhaussiedlungen aufwachsen, gab es schon genug zu lesen. Bei Tienti bekommen interessante/schräge/normale Persönlichkeiten Raum: Die farbige Mona, die als DJane arbeitet, aber viel Geld durch Wahrsagerei verdient. Oder Linus, das scheinbare Vorzeigekind, das an ADHS und diversen Ticks leidet. Oder auch Friedrich, dem die Trennung seiner Eltern bevorsteht. Echte Menschen mit echten Problemen eben.

Da wünscht man sich auch im wahren Leben, eine Nivin zu kennen, die das Herz auf der Zunge trägt, aber auch immer ein freundliches Wort oder ein 2-Euro-Stück für den dauerbetrunkenen Nachbarn Mahmut übrig hat. Eben eine moderne Pippi Langstrumpf aus Berlin Mitte. Eine Villa mit unzähligen Zimmern hat sie nicht zu bieten, jedoch ein freches und sympathisches Mundwerk, einen Blick für alle Randfiguren und ein großes Herz.

Lieber Benjamin Tienti, bitte mehr Geschichten von Nivin oder wenigsten anderen Berliner Originalen!

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Doro Hanf; Landesstelle: Niedersachsen.
Veröffentlicht am 02.07.2024

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