Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod

Autor*in
Romer, Knud
ISBN
978-3-458-17360-1
Übersetzer*in
Sonnenberg, Ulrich
Ori. Sprache
Dänisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
169
Verlag
Insel
Gattung
Ort
Frankfurt am Main
Jahr
2007
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
16,80 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

In seinem ersten Roman WER BLINZELT, HAT ANGST VOR DEM TOD setzt sich der dänische Schriftsteller und Werbetexter Knud Romer mit der Beziehung zwischen Deutschen und Dänen nach 1945 auseinander und hat mit seinen Darstellungen des dänischen Nachkriegsalltags einen Skandal in Dänemark ausgelöst. Doch es geht Romer auch darum, das Leben eines Außenseiters zu beschreiben und seine Einsamkeit zu skizzieren.

Beurteilungstext

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Junge Knud, 1960, also 15 Jahre nach Kriegsende, geboren, dessen Kindheit bis etwa 1974 beschrieben wird. Seine Mutter Hildegard ist Deutsche, sein Vater Däne und aus der kindlichen Perspektive wird das (einsame) Leben in der dänischen Provinz entworfen. Die Mutter ist nach dem Krieg nach Dänemark gekommen, um zu arbeiten, lernte ihren zukünftigen Ehemann kennen und blieb bis zu ihrem Tod in dem Land, in dem sie unerwünscht war. Unterbrochen wird der Aufenthalt lediglich durch Besuche der Verwandten in Deutschland.
Das Leben in der dänischen Kleinstadt Nykøbing ist sowohl für die Mutter als auch für den Sohn schwer, sie sind Außenseiter, werden von Erwachsenen und Kindern gehänselt, haben keine Freunde und verbringen die Tage alleine. Schon das Einkaufen in der Kleinstadt ist von Seufzern der Mutter begleitet, und erfordert „all unsern Mut“. Sobald Mutter und Sohn einen Laden betreten, verstummen die Gespräche, beide werden übersehen und erst nach einiger Wartezeit packt die Verkäuferin „saure Milch, ranzige Butter und altes Brot in die Tüten und gab ihr zu wenig Wechselgeld.“ Die Mutter wehrt sich nicht gegen eine solche Behandlung, kann sich nicht wehren und entschuldigt sich sogar für die Störung.
Doch so traurig diese Szene auch ist, so erhält sie auch etwas Humorvolles: Der Leser wird an eine Slapstickkomödie erinnert, in der ein Protagonist vergeblich versucht, etwas zu kaufen. Solche Szenen kommen immer wieder in Roders Familiengeschichte vor, er vermischt Tragisches mit Humorvollen. Gegen das Verhalten der dänischen Bevölkerung setzt die Mutter neben dem Alkohol auf deutsche Tradition wie der Lederhose, die Knud zu seiner Einschulung tragen musste und daher als „deutsches Schwein“ beschimpft wurde. Freunde hat er nicht. Die Geschenke, die er zum Geburtstag bekommt, wurde ihm „im Laufe des Tages wieder genommen […], zerstochen, versenkt und zerstört“. Auch seine geschmierten Butterbrote geben Anlass zu Spott, denn sie entsprechen keineswegs den dänischen. Der Sohn bringt es nicht über sich, seiner Mutter die Wahrheit zu sagen und versteckt die von ihr geschmierten Brote.
Es sind liebevoll-traurige Szenen, die beschrieben werden und das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn charakterisieren.
Dabei, so erfährt es der Leser nach und nach, gehörte die Mutter während des Nationalsozialismus zum Widerstand, hatte eine Liebesbeziehung mit Horst Heilmann von der „Roten Kapelle“ und sympathisierte daher keineswegs mit der NSDAP. Doch das erzählt sie nach 1945 der dänischen Bevölkerung nicht, sondern hält an deutschen Traditionen fest. Auch die väterlichen Familienmitglieder reagieren auf seine Heirat mit einer Deutschen, vergessen aber die Ressentiments als sie Geld benötigen. Der Vater bleibt im Hintergrund als ein korrekt handelnder Versicherungsangestellter, der sich von Kindesbeinen an um seine Familie gesorgt hat. Sicherheit steht im Mittelpunkt seines Lebens.
Besonders eindrucksvoll sind die Passagen, in denen die Familie ihre deutschen Verwandten besuchen und Knud die bedrückende Situation in Deutschland beschreibt. Er schildert die Kälte, das Schweigen und die Furcht in der Familie. Sein Onkel Hermann war im Russlandfeldzug, kann über seine Erfahrungen nicht sprechen, schenkt Knud Granatensplitter, die seinem Körper entnommen wurde. Die Granatsplitter sind es dann am Ende, die den erwachsenen Knud helfen, mit seiner Kindheit und Jugend abzuschließen.
In Rückblenden erfahren dann die Leser etwas über die väterlichen und mütterlichen Familienverhältnisse. Da ist zum Beispiel Knuds Großvater väterlicherseits, der immer alles korrekt und vorbildlich erledigt und bei Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Dänemark den Soldaten den richtigen Weg zeigt. Oder Knuds Großmutter mütterlicherseits, die eine Schönheit war, bei der Bombardierung Magdeburgs schwer verletzt wurde und entstellt weiterleben muss. Romers Roman reiht sich somit in zahlreiche Familienromane der letzten Jahre ein, hebt sich aber auch heraus. Obwohl eine Fotografie des Schriftstellers Knud Romer die deutschsprachige Ausgabe ziert, der Insel-Verlag somit auf der paratextuellen Ebene einen Zusammenhang zwischen der erzählten Geschichte und dem Autor herstellt und den Text autobiografisch liest, wehrt sich Knud Romer gegen eine solche (einseitige) Lesart. Sein Buch ist nicht nur eine Autobiografie, sondern zeigt das Leiden eines einsamen Junge und seiner Mutter. Romer hat mit seinem Roman der Mutter ein literarisches Porträt gesetzt. Ein solches Bild hebt sich aus den Familienerinnerungen deutscher Kriegskinder heraus, die ihre Eltern anklagen, verurteilen und auf der Suche nach Wahrheit sind.
Romers WER BLINZELT, HAT ANGST VOR DEM TOD ist ein im Vergleich zu den opulenten Familienromanen ein schmales, aber eindrucksvolles Buch. Zu hoffen bleibt, dass es von vielen Lesern wahrgenommen wird.

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Diese Rezension wurde verfasst von jam.
Veröffentlicht am 01.01.2010