Weil.

Autor*in
Muser, Martin
ISBN
978-3-551-58493-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
125
Verlag
Carlsen
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
Hamburg
Jahr
2023
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
13,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Wenn fünf Schüler*innen zum Lernen für die Abi-Prüfung in Ethik in ein Ferienhaus fahren und dann am anderen Morgen drei Typen vor der Haustür stehen, die zunächst berechtigte Forderungen stellen, aber dann Terror und Angst verbreiten, dann müssen da besondere Vor-Ereignisse gewesen sein. So denkt man. Ist aber nicht so. Und trotzdem rollt die Lawine von Gewalt und Horror auf die fünf jungen Menschen zu. Können sie dem Schrecken und dem Terror widerstehen?

Beurteilungstext

Martin Muser - Autor, Dramaturg und Dozent - hat mit seinem neuen Jugendroman "Weil."nach eigenen Worten eigentlich ein Kammerspiel geschrieben. Das Ferien- oder Wochenendhaus bietet den fünf Jugendlichen, die sich auf die Abi-Prüfung in Ethik vorbereiten wollen, einen geschützten Raum, in dem aber mit gewissen Vorahnungen behaftet, etwas völlig Fremdes für sie eindringt: Terror, Gewalt, ja sogar die Aussicht auf den eigenen Tod.
Die Idee dazu hatte er schon vor einigen Jahren und sie auch für einen Film skizziert. Als er später den Stoff für den Jugendroman aufarbeitete, war ihm klar, so sagt er, dass hier Anklänge an Gothik Novel stattfinden mussten, dieser düstere und dunkle Sound musste rüberkommen. Dazu wollte er von dem bisherigen Jugendbuchstil wegkommen.
Das ist ihm absolut geglückt.
Wir begleiten die Jugendlichen auf ihrer Fahrt in das entlegene Haus, erfahren, wie sie einen Anhalter mitnehmen, der sich schnell abfällig über Menschen anderer Hautfarbe äußert, erleben, wie sie an einer Raststätte tanken und auf den Anhalter warten. Doch da er nicht kommt, beschließen sie, ohne ihn weiterzufahren. Erst später entdecken sie, dass sich seine Reisetasche noch im VW-Bus befindet. Ein kurzer Inhaltscheck genügt ihnen und sie werfen die Tasche ins freie Gelände - obwohl sie Tabletten vorgefunden hatten.
Der Abend verläuft harmonisch, doch früh am anderen Morgen werden sie in die raue Wirklichkeit geholt. Der Anhalter steht vor der Tür - aber nicht alleine. Er hat zwei junge Männer mitgebracht, wovon sich Henk als der Anführer entpuppt. Zunächst fordern sie nur die Tasche zurück. Da die fünf Jugendlichen diese jedoch nicht mehr haben, wollen sie die drei mit Geld abspeisen - was auch zunächst gelingt.
Doch später am Tag sind die drei wieder im Haus.
Und jetzt beginnt eine Spirale der Gewalt und des Terrors.
Friedensangebote, Fluchtversuche scheitern und der einzige Nachbar in der Gegend reagiert nicht auf die Hilferufe der Jugendlichen.
Als dann noch ein Gewehr ins Spiel kommt, steigt die Kurve von Terror steil an. Hilflos stehen die fünf Jugendlichen den drei Eindringlingen gegenüber. Ihre Erziehung zur Konfliktbewältigung durch Reden und Zuhören versagt vor diesem personifizierten Bösen, vor Henk, dem Anführer. Er spielt auf der Tastatur des Mitleids, schildert ihre prekären Verhältnisse zu Hause und erklärt, dass jeder Mensch das Produkt seiner eigenen Geschichte sei. Er kann geschickt ihre Ethikstudien umdrehen, erklärt seine Ansicht von Kants Umgang mit dem Bösen und stellt dem materiellen Schaden (verlorene Tasche) einen ideellen Schaden (ihre Herkunft) gegenüber.
Ein kurzer Versuch der Rebellion scheitert und verwundet eine Jugendliche mit einem Streifschuss und Knut, ein Abiturient, ist mit einem Schraubenschlüssel am Knie verletzt worden. Um das Spiel auf einen Höhepunkt zu treiben, will Henk sie erschießen und beginnt mit einer Abiturientin. Er zieht ihr einen Bettbezug über den Kopf und seine beiden Mittäter halten sie fest. Doch kurz vor dem Schuss verlangt er, dass ihr Freund sie töten solle. Dann wären alle anderen frei.
Hier bricht die Spirale der Gewalt ab, denn der Anhalter hat seine Tabletten nicht genommen - sie waren ja in der Tasche - und er erleidet eine Herzattacke.
Mag dies konstruiert wirken, doch dieses Geschehen dreht die Situation. Die Abiturienten haben jetzt die Möglichkeit Vergeltung zu üben.
Henk, der brutale Anführer, bittet die Abiturienten um Hilfe, um einen Notarzt. Knut bekommt das Gewehr und man sieht ihm an, dass er durchaus bereit ist, auf seinen Gegner zu schießen. Er, der Friedfertige, spürt Hass in sich. Das Gewehr gibt ihm die Macht zum Töten. Zu einem legalen Töten?
Dieser Roman hat kein Ende.
Im Nachwort gibt der Autor zu, dass er sich den Ängsten "schreibend stellen" wollte. "Ich wollte sie mit der Geschichte gleichsam umzingeln, um sie zu bezwingen und am Ende doch Antwort auf die Frage zu finden. Es ist mir nicht gelungen."
Es kann auch kein Ende geben. Jeder Schluss würde die Hochspannung und die aufgebrochenen Fragen lächerlich wirken lassen.
Jede*r muss sich der Geschichte stellen, den Fragen nachgehen, die in diesem Buch aufgebaut sind: Wie verhalten wir uns, wenn wir in Gewalt- oder Terrorszenarien geraten sollten? Wie dünn ist unsere zivilisatorische Decke? Und woher kommt das Böse?
Diese unumstößliche Anwort des Anführers Henk "Weil." finden wir oft in den Gedankengängen von Terroristen. Da es keine logische Begründung für ihr Tun gibt, greifen sie zu dem scheinbar unangreifbaren Wort "weil". Und dann kommt der Punkt! Dieser absolute Punkt, der kein Weiter erlaubt oder möglich macht.
Diese fünf Abiturienten erleben die Spirale der Gewalt bis fast zum Ende und stehen hilflos daneben.
Ein Roman, der an Janne Tellers "Nichts" erinnert oder an Jesper Wung-Sungs Roman "Opfer". Auch Kevin Brooks geht in seinen Jugendromanen oft diesem Thema nach und findet letztendlich auch keine Antwort.
Ein Roman, den man unbedingt in der Gruppe - also z.B. im Ethikunterricht - lesen sollte.

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Diese Rezension wurde verfasst von Walter Mirbeth; Landesstelle: Bayern.
Veröffentlicht am 15.05.2023