Wann kommt Mama

Autor*in
Lee, Tae-Jun
ISBN
978-3-314-01535-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Kim, Dong-Seong
Seitenanzahl
40
Verlag
Nord-Süd
Gattung
BilderbuchSachliteratur
Ort
Hamburg
Reihe
Hamburg
Jahr
2007
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Vorlesen
Preis
13,80 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die Geschichte ist von 1938, erschienen in einer Tageszeitung in Korea. Der Illustrator ist 1970 geboren und hat die Bilder dazu 2004 gemalt. Inhalt wie Bilder reduzieren stark und sind (fast) zeitlos. Eine traurige Geschichte voller Treue und Sehnsucht. Schön ist sie dennoch.

Beurteilungstext

Ein ausgesprochen liebevoll gemachtes Buch. Autor, Übersetzer und Lektorat geben sich - erfolgreich - alle Mühe, den Bildern und der kleinen Geschichte gerecht zu werden. Die Bilder sind in schwachem Braun gehalten und haben als Mittelpunkt ein Kind, wahrscheinlich ein Junge, der wegen seiner Mütze mit den Ohrenklappen auffällt und durch seine fast stoische Ruhe. Er will seine Mutter von der Straßenbahn abholen. Die Straßenbahnfahrer, die er zunächst befragt, antworten freundlich aber endgültig, dass sie seine Mama nicht kennen. Der dritte steigt aus, redet kurz mit ihm, lässt ihn dann aber doch stehen. Er hat schließlich eine Arbeit zu erledigen. So bleibt der Kleine an der Haltestelle, wartet Straßenbahn um Straßenbahn. "Der Wind bläst kalt," steht auf der einen Doppelseite, und auf der nächsten "und auch wenn eine Straßenbahn kommt, fragt das Kind nicht mehr."

Da ist ziemlich viel Verlust im Spiel. So ein einsames Kind. Warum kümmert sich niemand um den Kleinen? Vermisst ihn niemand? Der ist doch höchstens vier Jahre alt! Seine Nase wird rot vor Kälte, aber er verlässt seinen Platz nicht. Irgendwann muss sie doch kommen, seine Mutter. Wir ahnen es, auch wenn wir es wie er nicht wahrhaben wollen. Seine Mutter wird wohl nicht kommen. Sie wird wohl nie mehr kommen.
So fragt er denn auch sehr ungewöhnlich und doppeldeutig die Fahrer: "Kommt meine Mama nicht?" Die könnten eben und vielleicht nur antworten, wenn er fragen würde, ob seine Mama (nicht) mitgefahren wäre, ob jemand sie gesehen hätte, ob sie etwas für ihren Sohn ausgerichtet hätte. Die Antwort auf seine Frage ist ihm längst klar, aber er will es nicht wahrhaben.
Die große Leere wird durch den kurzen Text (der Originaltext steht in koreanischer Schreibweise je darüber) sehr deutlich - und natürlich durch die Bilder. Die Grund-Perspektive ist auf Augenhöhe des Kleinen. Da werden Straßenbahnen ganz groß und passen nicht mehr auf das Bild. Aber dann wird der Malstil auf zwei Arten unterbrochen. Einerseits werden wartende Menschen mit braunem Stift skizziert, der Kleine mittendrin, andererseits wird in Mischtechnik in Grünbraun (!) gemalt: Ein übermächtiger Baum hinter einer kleinen Straßenbahn, eine Stadtzeile, die auch einem US-Western-Film entnommen sein könnte, wenn nicht die koreanischen Schriftzeichen wären.
Das Buch endet mit textlosen Doppelbildern, alle drei sehr ungewöhnlich. Das erste besticht durch die extreme Frosch-Perspektive, aus der der Junge tatsächlich groß wirkt. Das wird seine Zukunft sein müssen. Staunend schaut er nach oben auf die dicken weißen Schneeflocken vor dem grünen Himmel. Das zweite zeigt eine völlig irreale Welt, oval, an den Rändern ausfasernd: Eine grün-gelbe Stadt, verschwommen, kaum erkenntlich. Schmutziger Schnee. Im dritten wird alles wieder klar, obwohl der Schnee weiter fällt. Eine undeutliche, gleißende Sonne taucht auf, und die Konturen der Dächer werden als weiße, gebogene Flächen deutlich.
Der Titel "Wann kommt Mama?" passt nur insofern, als Mama nicht kommt, nicht kommen wird. Die Frage im Text: "Kommt meine Mama nicht?" wird da schon viel deutlicher. Das muss man erst einmal verkraften.

Aber, und das spricht für die Geschichte wie für die Umsetzung mit den Bildern, es gibt eine Kinder-Ebene, auf der ein Kind auf seine Mama wartet. Bald wird sie kommen, bestimmt.
So hat auch Kim Dong-Seong der Geschichte mit seinen zwei letzten Bildern etwas Tröstliches hinzugefügt. Wir können uns vorstellen, dass das vorletzte Bild durch tränennasse Augen geschaut wird. Die große Stadt wird sehr undeutlich, die Bildränder verschwimmen. Wir schließen die Augen, und nachdem wir sie wieder öffnen, erblicken wir die leicht gebogenen Dächer kleiner Häuser eines Dorfes. In einer der engen Gassen mit den Treppen - fast nicht zu erkennen - geht eine Frau mit einem Kind an der rechten Hand, links trägt sie einen offenen Korb. Ihre Kopfhaltung ist dem Kind zugewandt. Die Kleidung der beiden ist grün wie die Farbe der Häuser und des Himmel. Dicke Schneeflocken machen die Sicht fast unmöglich. Die beiden kann man dabei auch leicht übersehen.

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Diese Rezension wurde verfasst von uhb.
Veröffentlicht am 17.06.2022