Während der Bär schlief …

Autor*in
Imai, Ayano
ISBN
978-3-03934-372-0
Übersetzer*in
Raecke, Renate
Ori. Sprache
Japanisch
Illustrator*in
Imai, Ayano
Seitenanzahl
40
Verlag
Minedition
Gattung
Bilderbuch
Ort
Zürich
Jahr
2021
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
KlassenlektüreVorlesen
Preis
10,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Bruno Bär trägt einen weißen Zylinder auf seinem Kopf. Von anderen wird dieser argwöhnisch beäugt. Bis plötzlich ein Specht den weißen Zylinder als seine neue Heimat auserwählt. Eine poetische und in zarten Bildern erzählte Geschichte über das Anderssein, Alleinfühlen, das Anklopfen und Gemeinschaft.

Beurteilungstext

Bruno Bär ist ein guter Typ, doch keiner merkt es. Als einziger Braunbär in der Menschenwelt fühlt er sich fremd. Und tatsächlich, sobald er unter Menschen ist, scheinen diese ihn skeptisch zu beäugen. Liegt es an seinem großen weißen Zylinder, den er auf dem Kopf trägt? Eines Mittags, als Bruno Bär sich zu einem Schläfchen in die Astgabel legt, passiert etwas Erstaunliches. Ein Specht landet auf seiner Hutkrempe und klopft an. Toktoktok. Bruno schläft weiter. Also beschließt der Specht, in Brunos Zylinder einzuziehen. Das bekommen auch andere Vögel mit. Auch sie bauen ihr Nest in Brunos Hut. Der weiße Zylinder wächst und wächst. Und siehe da! Auch die Menschen beginnen, sich für Brunos Hut zu begeistern. Ja, weiße Zylinder werden zur Mode. Fortan geht Bruno Bär gemeinsam mit seinen gefiederten, in seinem Hut hockenden Freunden durch die Welt. Doch dann geschieht etwas Merkwürdiges: Bruno tritt aus dem Haus in seinen Garten, wo er seinen mittlerweile meterhohen Hut abzustellen pflegt. Doch der weiße Hut ist leer. Die Vögel sind fort. Ratlos und traurig kehrt Bruno Bär in sein Haus zurück, legt sich in sein Bett und fällt in einen tiefen Winterschlaf. Als er im Frühling aufwacht und hinausgeht, traut Bruno Bär seinen Augen nicht. Sein weißer Zylinder hat Wurzeln geschlagen, ist zu einem prächtigen Baum angewachsen, unter dessen Blätterdach nicht nur seine gefiederten Freunde fröhlich zwitschern, sondern auch andere Lebewesen – Eule und Eichhörnchen, Damen mit Hund, Rotkehlchen und Blaumeise – eine Bleibe gefunden haben.

Bereits das Coverbild von Ayano Imai beginnt ein gedankliches Spiel mit dem Möglichen: Hoch oben in den Wolken auf einem dünnen Ast schläft ein Bär. Das Mächtige, eventuell Bedrohliche wird dabei nicht nur durch den Zustand des friedlichen Schlafens aufgehoben, sondern zudem in sein Gegenteil verkehrt: Denn der Bär selbst scheint in milder Gefahr zu sein; droht, in die Tiefe zu fallen. Anders, als in der englischen Ausgabe, in der Brunos weißer Zylinder und damit ein wundersamer Gegenstand im Zentrum des Covers steht und das Buch unter dem Titel ‚Mr. Brown’s Fantastic Hat‘ firmiert, lenkt die deutschsprachige Ausgabe die Aufmerksamkeit auf das Potenzial des Möglichen, das in jedem Moment des Lebens liegt. Schon die Betrachtung des Titelbildes kann somit ein philosophisches Gespräch anstupsen über all das, was passieren könnte, wenn etwas anderes außer Kraft gesetzt ist.
Die Idee der Utopie setzt sich im Inneren des Bilderbuches durch eine surrealistische Bildsprache fort, die an René Magritte erinnert – wenn etwa ein Ast wie ein Garderobenhaken aus der Wand wächst, der Fußboden ein grüner Rasen ist oder die Würfelzuckerstücke mit der karierten Tischdecke optisch eins werden. Kindern dürfte das Entdecken dieser surrealistischen Momente besondere Freude bereiten. Auch an den Kinderbuchkünstler Janosch und sein Herz für Anarchie im Kleinen fühlt man sich erinnert, entdeckt man doch eines von Janoschs Markenzeichen, den an einem Faden hängenden Braunkappen-Pilz, wiederholt in Imais Buch.
Die feinsinnige Bildsprache der japanisch-britischen Bilderbuchautorin Ayano Imai wird allerdings durch eine mitunter holzschnittartig anmutende Sprache und eine simplifizierend-stereotypisierende Textebene konterkariert. Die Texte beschreiben und begleiten die Bilder dabei nicht behutsam oder interagieren gar mit ihnen, sondern überdecken diese durch wertende Zuschreibungen. Legt man den Betrachtungsfokus jedoch eher auf die Bilder als den Text, so bietet die grafische Ebene vielschichtige Gesprächsanlässe. Denn Bruno Bär als gezeichnete Figur hat zwei große Augen, aber weder Mund noch Mimik, was die Figur besonders offen für eigene Gedanken und Gefühle sowie Assoziationen macht und zur Antizipation von Emotionen anregt. Betrachtet man zudem gezielt die von leiser Ironie begleitete Proxemik der Figur (etwa wenn Bruno Bär in die Wolken schaut und dabei seinen Arm hängen und den Kaffee aus dem Becher laufen lässt), den Kontext (etwa Herbst und Frühlingssetting oder auch das Vorsatzpapier, das vorne geschlossene Türen zeigt und hinten, am Ende des Buches, lauter geöffnete Türen) und die Symbolik (wie Brunos Haus, das von außen karg, fensterlos und verschlossen wirkt, von innen aber lichtdurchflutet ist und grünt und blüht), so lässt sich leicht ein Gespräch entspinnen.
Das Buch "Während der Bär schlief …" ist ein fantasievolles, poetisches, mit zuneigungsvollem Blick gezeichnetes Bilderbuch, das berührt und zum Nachdenken über das Anderssein, Fremdheit in der Welt sowie die Bedeutung von Gemeinschaft anregt. Es bietet auf ästhetisch-literarische, spielerische Weise die Gelegenheit, gemeinsam mit Kindern ihre eigenen Besonderheiten zu erkunden: Was macht dich besonders? Was ist dein weißer Zylinder? Wofür könnte der gut sein? Warum ist Individualität wichtig? Und: Was macht die Person neben dir besonders? Zudem eröffnet das Buch die Chance, über Eigenwahrnehmungen und Fremdwahrnehmungen zu sprechen: Wie sehe ich mich? Wie nimmst du mich wahr? Welche Besonderheiten siehst du bei mir? Aber auch: Wie fühlt man sich, wenn man sich wie Bruno ausgeschlossen fühlt? Können andere das erkennen? Was könnte man tun? Egal, ob eher Vogel oder Bär – Ayano Imais Buch bietet für jeden Betrachter wertvolle Gedankenimpulse. "Während der Bär schlief …" erzählt somit nicht nur eine Geschichte, die Brunos Welt zu verändern vermag, sondern auch die der kleinen und großen Menschen, die ihm begegnen.
CJW

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von szi; Landesstelle: Schleswig-Holstein.
Veröffentlicht am 08.06.2022

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