Verschollen

Autor*in
Gehrmann, Kristina
ISBN
978-3-356-02024-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
271
Verlag
Hinstorff
Gattung
Comic
Ort
Rostock
Jahr
2016
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Klassenlektüre
Preis
18,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Im November 1847 steckt die Franklin-Expedition schon ein Jahr im kanadischen Eismeer fest. Kälte, Ratten und Skorbut zehren an den Reserven der Expedition und den Kräften ihrer Teilnehmer. Gibt es noch Hilfe für die Eingeschlossenen und Verschollenen?

Beurteilungstext

Es handelt sich um den abschließenden Band der Triologie "Im Eisland", in der das Schicksal der englischen Expedition unter Sir John Franklin im kanadischen Eismeer von 1846 bis 1851 und der Spurensuche danach geschildert wird. Es ist das letzte Kapitel einer Abenteuertragödie in der Geschichte großer Entdecker und Seefahrer. Doch gegen die Einordnung in die großen Erzählungen, die sich mit Namen wie Marco Polo, Columbus oder James Cook verbinden, sperrt sich die graphic novel. Sie zeichnet kein glorreiches Bild menschlicher Kreativität, übermenschlicher Stärke und Überlebenswillens. Aus dieser Ablehnung heraus erwächst die besondere Spannung des Buches, das viele Elemente der Abenteuerliteratur anklingen lässt, sie aber eher schwarz als weiß gestaltet.
Für Abenteuer ist die Erforschung oder Entdeckung des Unbekannten zentral. Zwar lautet so auch der Expeditionsauftrag, aber den gesamten Band über hängt die Expedition fest. Längst hat das Überleben das Entdecken verdrängt. Die einzigen Grenzen, die noch überschritten werden, liegen im Denken und Handeln der Menschen, wenn die Enge des Schiffs zur Belastung wird und bspw. Ratten auf dem Speiseplan erscheinen.
Untypisch für das Abenteuer ist ebenso, dass mehrere Figuren im Mittelpunkt stehen. Brechts Frage: "Wer baute das siebentorige Theben?" wird hier durch ein facetten- und figurenreiches Bild der Expedition beantwortet. Anders als in der altgriechischen Argonautensage (Jason und das goldene Vlies), ist les- und sichtbar, dass übermenschlich erscheinende Leistungen auf vielen Schultern gewöhnlicher Menschen ruhen.
Die Schwerpunktverlagerung auf die Psyche der Protagonisten – statt abenteuerlicher Raumbezwingung ein Kammerspiel, das beengt – verweist vor allem auf die Gefühle der Beteiligten. Damit wird der Topos des einzelnen, körperlich und geistig überlegenen Abenteurers ebenfalls in Frage gestellt. Von der Skorbut und bald vom Hunger geplagte Körper, die nur noch mühsam ihren Alltag bewältigen können, versuchen sich hier einer unbarmherzigen Eiswüste zu stellen. Die noch handeln, sind Außenstehende: die Frau Sir Franklins, englische und amerikanische Suchexpeditionen.
Die Eiswüste, im Text kaum wahrnehmbar, nimmt im Bild breiten Raum ein. Sie ist der stille Antipode, der im Hintergrund wartet und durch seine Beharrlichkeit die Menschen zermürbt. Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind hier bestens geeignet, die Trostlosigkeit der Situation und die aus schroffen Eisblöcken gestapelte Landschaft zu veranschaulichen. Es ist so, als ob die Wüste draußen sich auch im Inneren der Menschen breitmacht.
Sieht man das Buch weniger als Abenteuerroman und mehr als Tragödie stellt sich die Frage nach den Lehren, die wir aus der Geschichte ziehen können. Hier hält sich der Erzähler zurück und lässt die Figuren sprechen. Explizit wundern sich die Inuit bei ihren Kontakten mit der Expedition, dass die Engländer zwar die Natur erforschen wollen, aber ihr mit Dampfschiffen nahe rücken, als würden sie sich gleichzeitig von ihr distanzieren wollen. Andere Polarforscher nach ihnen haben versucht, von den Inuit zu lernen und benutzen Schlittenhunde und leichte Boote, um das Eismeer zu überwinden. Implizit wird in der Darstellung der Offiziere deutlich, dass auch das Festhalten an zivilisierten Verhaltensmustern und Hierarchien eine Ursache des Scheiterns gewesen sein könnte. Die Ideologie des Heldentums, basierend auf Gehorsam, Pflichtbewusstsein und Opferbereitschaft, hat hier möglicherweise andere Lösungen verhindert,
– möglicherweise: Das Buch ist Teil einer langanhaltenden Spurensuche. Die Expedition hat viele Rätsel hinterlassen und es gehört zu den Vorzügen der Erzählung, dass sie diese Rätsel nicht vollkommen auflöst, sondern Leerstellen und Alternativen markiert. So bleiben am Ende viele Fragen übrig: Neben dem tatsächlichen Verlauf sind es die Einzelschicksale und die Vielfalt möglicher Deutungen, die hier wahrscheinlich nicht zum letzen Mal zur Auseinandersetzung mit der Franklin-Expedition und dem Preis menschlicher Neugier auffordern.
(Thomas Bitterlich)

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von ThoBi.
Veröffentlicht am 01.07.2016

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