Verändert die Welt! Das Leben des Rudi Dutschke

Autor*in
Zöller, Elisabeth
ISBN
978-3-446-25706-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
331
Verlag
Hanser
Gattung
BiografieBuch (gebunden)
Ort
München
Jahr
2017
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
19,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Das Jahr 2018 – in vielen Medien blickt man auf Ereignisse zurück, die ein halbes Jahrhundert zuvor geschehen sind. Die 68er Bewegung wird beleuchtet – ein Versuch der Wertschätzung oder der Entmythisierung?! In ihrem Mittelpunkt steht eine charismatische Person – Rudi Dutschke.

Beurteilungstext

Die Biografie Rudi Dutschkes beginnt mit einem zweigeteilten Prolog – der erste Teil gibt eine Szene vor dem Kriminalgericht in Berlin wieder, wo im November 1967 der Prozess gegen Fritz Teufel stattfand. Teufel wurde zur Last gelegt, bei den Demonstrationen am 2.Juni 1967 gegen den Schah von Persien einen Stein geworfen zu haben. Rudi Dutschke läuft an der Spitze derer, die gegen diesen Prozess lautstark protestieren und die Freilassung Teufels fordern. Als sie von den hinter Absperrungen abweisend reagierenden Beamten zum Stehenbleiben aufgefordert werden, fordert Dutschke seine Mit-Demonstranten auf, die Barrikaden wegzuräumen. Er hakt sich bei seinen Nachbarn unter und in Viererreihen marschieren sie auf das Gebäude zu.
Der zweite Teil widmet sich dem Berlin des 21. Jahrhunderts - eine Weltstadt, beliebtes Touristenziel. Von der Mauer, die Jahrzehnte lang Wahrzeichen eines geteilten Deutschlands war, existiert nur noch ein kleiner Teil, das sich dahinter verbergende Leid und die vielen menschlichen Tragödien verblassen, sind Teil des Geschichtsunterrichts. Der ‚Revolutionär‘ ist inzwischen ein Teil dieser Stadt geworden: Ein Straßenstück der Koch- und Oranienstraße trägt nach einem jahrelangen Streit seit dem Jahre 2004 bzw. 2008 den Namen ‚Rudi-Dutschke-Straße‘. Dass am Ende des Teilstücks die Axel-Springer-Straße abzweigt, an der das Verlagshaus der ‚Bild‘-Zeitung liegt, das in seiner Berichterstattung massiv gegen die Bewegung der 68er agierte, ist kein Zufall. Rudi Dutschke war ein Meister der polarisierenden Rede und ein glühender Verfechter im Kampf um die Menschenrechte und ein überzeugter Sozialist und Kriegsgegner – in diesem Kampf stellte er sich auch dem damals wie heute ‚einflussreichen Blatt.
Die Autorin entwirft an dieser Stelle Visionen, wie Dutschke in der Welt der sozialen Netzwerke, der Überwachung und der politischen Eingriffe auf das Privatleben vorgehen würde. Noch immer würde dessen Forderung lauten: „Verändert die Welt!“ (S. 9)
Im Rahmen von zwanzig Kapiteln entfaltet die Biografie Dutschkes dessen Leben als Kind, Jugendlicher, Student, ‚Aktivist‘ und überzeugter Sozialist – vor allem aber auch als ‚Mensch‘ Rudi Dutschke. Das christlich geprägte und prägende Elternhaus vermittelt dem im Jahre 1940 Geborenen Nächstenliebe, Demut und Frömmigkeit. Nach Kriegsende gehört der Heimatort Dutschkes, Luckenwald in Brandenburg, zum sowjetischen Sektor, ab 1949 sind dessen Bewohner Bürger der DDR. Rudi ist begeisterter Sportler, der Gedanke einer klassenlosen Gesellschaft, eines „friedliebenden Sozialismus“ (S. 18), in dem alle zusammenhalten und füreinander da sind, steht seiner religiösen Erziehung nahe. Das Schulsystem erzieht die Jugendlichen „zu einer demokratischen Gesinnung, zu Friedensliebe und Antifaschismus“ (S. 19), um jegliche faschistische Tendenzen zu unterbinden. Dies sind die Säulen in Dutschkes ‚Haltung‘, die sein weiteres Leben prägen und bestimmen werden.
Die Autorin beleuchtet im weiteren Verlauf die entscheidenden Stationen ihres Protagonisten und entwirft – auf Basis von Dutschkes Notizen, Tagebucheinträgen, von Aussagen durch Freunde, Weggefährten, Familienmitgliedern das Bild eines Mannes, der zu seinen Prämissen steht, für diese kämpft, der andere mitreißt, begeistert, der nicht davor zurückschreckt, die noch immer verkrusteten Strukturen einer konservativen Regierung anzuprangern und dagegen anzugehen.
Die Elterngeneration dieser Studenten verharrt in der Bewahrung dessen, was über den Krieg hinweg gerettet wurde, stellt sich den eigenen Fehler bzw. dem eigenen Fehlverhalten nicht, entzieht sich der Verantwortung. Man ist zufrieden mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach den langen Jahren der Entbehrung, die Politik, noch immer durchwandert von nationalsozialistischen ‘Überlebenden‘, verharrt im Bewahren, in der Polarisierung von West und Ost. Bewegung entsteht durch ‚Quer- und Andersdenker‘ an den Universitäten, Professoren geben Impulse, die Studenten suchen in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen und früheren Philosophen, Soziologen, Politologen, Historikern nach einem Auf- und Ausbruch aus ‚dem alten Frack‘, der nicht mehr passt, weil die Welt größer, fassbarer und das Denken internationaler geworden ist.
Elisabeth Zöller ist ein Werk gelungen, das nicht nur seinen Protagonisten in vielen Facetten darstellt, das ihn als Kämpfer, als Familienmensch, als verantwortungsvollen – und ‚bewussten‘ Bürger zeichnet, sondern auch kritisch mit den Begleitumständen zu Gericht geht. Rudi Dutschkes Ansehen in der Gesellschaft ist ‚gespalten‘, die einen sehen ihn als revolutionären Führer einer Bewegung, die viele Opfer fordert, die in die Nähe der RAF und deren blutigem Treiben gebracht wird, die anderen als ‚Helden‘, der es wagt – gemeinsam mit anderen, seinen Zorn zu zeigen gegenüber einer Politik, die vor einem Vietnamkrieg die Augen verschließt, die eine Aufrüstung akzeptiert, die die Demokratie nicht aus ihren Kinderschuhen herausführt. Bilder, Ausschnitte aus Zeitungen, Zeitzeugenberichte usw. helfen dem Leser, die Vielfalt der Informationen einzuordnen, die Rolle der Medien in ihrer demagogischen Kraft wahrzunehmen und sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Ohne die Qualität dieses Buches infrage stellen zu wollen, bleiben die Zweifel, ob die Jugendlichen nach der Lektüre dem Ruf „Verändert die Welt!“ folgen bzw. ihn verstehen werden. Die Alt-68er sind inzwischen Großeltern-Generation geworden, manch einer sieht und erzählt den Enkeln verklärend die Ereignisse seiner ‚Sturm- und Drang-Phase‘, findet möglicherweise kein Verständnis für das, was die heutige Jugend bewegt.
Deren Voraussetzungen sind andere, viele sind finanziell saturiert, weil die 68er in einer bürgerlichen Mittelschicht angekommen sind, für die vieles selbstverständlich wurde, was sich ihre Eltern in der Aufbauphase nach dem Krieg nicht leisten konnten. Die Familie erhielt eine neue Definition, die früheren Werte sind verblasst oder umgewertet. Jede Generation möchte, dass es ihren Kindern besser geht als ihnen selbst – nur, wie definiert sich heute dieses ‚besser‘? Resultiert das von den ‚Alten‘ bemängelte politische Desinteresse oder Engagement nicht aus der Furcht vor der ‚Zukunft‘, die die Jugendlichen nicht definieren können, weil sie das Hier und Jetzt nicht akzeptieren (können)? Daher sollte m.E. Elisabeth Zöllers Buch nicht nur als Sachbuch gesehen, sondern auch als Fundus herangezogen werden, um Parallelen aufzuzeigen und ‚Energizer‘ zu finden, die die Jugendlichen in ihrer Entwicklung (be-)stärken.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Veröffentlicht am 08.06.2018

Weitere Rezensionen zu Büchern von Zöller, Elisabeth

Kolloch, Brigitte; Zöller, Elisabeth; Zett, Sabine

Die schönsten Silbengeschichten für Erstleser Jungs

Weiterlesen
Zöller, Elisabeth; Kolloch, Brigitte

Kleine Mutmach-Geschichten zum Vorlesen

Weiterlesen
Zöller, Elisabeth

Verändert die Welt!

Weiterlesen
Zöller, Elisabeth

Verändert die Welt! - Das Leben des Rudi Dutschke

Weiterlesen
Zöller, Elisabeth

Verändert die Welt - Das Leben des Rudi Dutschke

Weiterlesen
Zöller, Elisabeth

Das Chaosmonster

Weiterlesen