Verändert die Welt!

Autor*in
Zöller, Elisabeth
ISBN
978-3-446-25706-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
328
Verlag
Hanser
Gattung
BiografieBuch (gebunden)
Ort
München
Jahr
2017
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Klassenlektüre
Preis
19,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Das Leben des Rudi Dutschke in neunzehn Kapiteln

Beurteilungstext

Wer heute beim Brötchenkauf die Bildzeitung auf dem Bäckertresen sieht und meint, die erbarmungslose Hetze oder Häme, die einer beliebigen Schlagzeile entspringt, werde immer schlimmer, der oder die sei versichert, das ekelhafte Mistblatt war schon immer so. Zu Zeiten Rudi Dutschkes sogar noch schlimmer.
Wer sich heute wundert, mit welcher Gewalt eine gut ausgerüstete Polizei auf jugendliche Demonstranten einprügelt, wie beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg geschehen, der lese in diesem Buch, es war schon immer so, auch wenn heute nicht mehr scharf geschossen wird.
Wer sich heute die Frage stellt, ob der Verfassungsschutz eine kriminelle Vereinigung sei, der lese auf Seite 227 über einen Mann namens Peter Urbach, „der sämtliche Molotowcocktails beschafft und deren Einsatz im Springer-Fuhrpark angeführt hatte, (…) ein Polizeispitzel, wie sich später herausstellte. Ein vom Innensenator Neubauer beauftragter und in die linke Szene eingeschleuster V-Mann des Verfassungsschutzes, der sich in der Rolle des stets hilfsbereiten Handwerkers das Vertrauen insbesondere der Kommune 1 erworben hatte.“
Das Buch von Elisabeth Zöller ist also nicht nur ein Buch über Rudi Dutschke. Es verhilft uns zu einer Reise in eine Zeit, die manche für überwunden halten, weil die sogenannten Achtundsechziger „diese deutsche Gesellschaft gründlich zivilisiert haben“ (Antje Vollmer am 09. August 1990 im Deutschen Bundestag). Pustekuchen. In Deutschland wird weiter geprügelt, die Reichen werden reicher und die Armen ärmer, und dieses Deutschland führt seit 1999 wieder Krieg. Dagegen wäre Rudi Dutschke auf die Straße gegangen, wäre er in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung unter Schröder und Fischer noch am Leben gewesen. Vielleicht.
Ein merkwürdiger Mensch, dieser Rudi Dutschke. Ein christlicher Revolutionär, der davon überzeugt ist, „in einem Prozess der geschichtlichen Entwicklung (zu stehen), in dem nicht mehr die proletarische Revolution auf der Tagesordnung steht, sondern die menschliche Revolution …“ (S. 166) Und zwar als „Gesamtrevolution gegen das System“, was immer das heißen mag. Ein Mensch, der Texte am Fließband produziert, die von der Autorin als „sperrig und schwer verständlich“ beurteilt werden. „Kein Wunder, dass auch damals die meisten Studenten sie weder gelesen noch verstanden haben“ (S. 285). Doch dieser Rudi Dutschke ist zugleich ein Mensch, der so hinreißend reden kann, dass ihm selbst hartgesottene Unternehmer applaudieren: „Ich verstehe den Dutschke nicht, ich bin auch weiter ein Gegner aller Linken, aber der Junge ist ein anständiger Mensch, das steht fest, der ist anständiger als alle Politiker zusammen“ (S.189). Und dieser anständige Mensch wird am 11. April 1968 auf dem Kurfürstendamm von einem jungen Mann gefragt: „Sind Sie Rudi Dutschke?“ Der Rest ist bekannt. Nach drei Schüssen, davon einer in den Kopf, „sackte Rudi blutüberströmt zusammen, raffte sich auf, taumelte auf die Straße, brach wieder zusammen (S.221). Ob sich der Attentäter, ein junger Neonazi namens Joseph Bachmann, von der Bildzeitung hat inspiriert lassen, ist nicht geklärt. Geklärt ist aber, dass eben diese Zeitung dazu aufgerufen hat, die von ihr so genannte „Dreckarbeit“ nicht mehr der Polizei zu überlassen, um sich hinterher die Hände in Unschuld zu waschen.
Wogegen ist Rudi Dutschke auf die Straße gegangen? Gegen den von der deutschen Bundesregierung tatkräftig unterstützten Vietnam-Krieg der USA, also gegen einen verbrecherischen Krieg. Was wollte er in Deutschland? Er wollte die Verhältnisse zum Tanzen bringen, um andere, humanere Verhältnisse zu schaffen.
Warum hat Josef Bachmann auf ihn geschossen? Der Gerichtsgutachter kam zu folgendem Schluss: „Der Mordversuch an Rudi Dutschke war für Bachmann der Versuch, Anschluss an die Ordnung zu gewinnen, sich der Macht und Mehrheit zu integrieren … Als er die Kugeln in Dutschkes Gesicht feuerte, handelte er als Exekutor eines verschlüsselten öffentlichen Auftrags, den er auf eigene Faust entzifferte“ (S. 245). Genau das erleben wir heute, wenn junge Neonazis Brandsätze in Flüchtlings- und Asylbewerberheime werfen.
Rudi Dutschke hat Josef Bachmann umgehend – sobald er wieder denken, sprechen und schreiben konnte – entschuldet: „Der junge, lohnabhängige Bachmann ist nicht im wesentlichen schuld an dem Attentat … In Wirklichkeit aber ist Bachmann und seine ganze Klasse … durch das herrschende System seit Jahrzehnten unterdrückt“ (S. 235). Er schreibt dem Attentäter Briefe, in denen er ihm versichert, „nicht böse“ auf ihn zu sein, versucht, ihm die Schuldgefühle zu nehmen und bricht zusammen, als er davon erfährt, dass Bachmann sich in seiner Zelle erhängt hat. „Als Bachmann tot war …“, erinnert sich Erich Fried, „… habe ich Rudi das einzige Mal in wirklich aufgelöster Stimmung gesehen. Er hat geheult, lag auf der Nase und sagte, er hat alles falsch gemacht. Er hat ihm doch erst Briefe geschrieben und ihn getröstet. Dann nicht mehr, weil er gedacht hat, wenn er zu viel Hilfsbereitschaft zeigt, werden die Schuldgefühle bei Bachmann noch größer. Vielleicht, sagte er, wenn er in Berlin geblieben wäre und ihn regelmäßig besucht hätte, hätte er diesen Selbstmord doch verhindern können“ (S. 254/255). Wie gesagt, ein merkwürdiger Mensch, über den hier ein wunderbares Buch erschienen ist.

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Diese Rezension wurde verfasst von bf; Landesstelle: Bremen.
Veröffentlicht am 04.02.2018

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