Und wenn ich dann ankomme...

Autor*in
Holmes, Alexandra
ISBN
978-3-7022-4227-5
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Vrba, Judith
Seitenanzahl
26
Verlag
Tyrolia
Gattung
Bilderbuch
Ort
Innsbruck
Jahr
2024
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiVorlesen
Preis
18,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

„Ankommen“ kann man auf vielerlei Art und Weise… In diesem originellen Wendebilderbuch, das unterschiedliche Ich-Perspektiven von zwei Kindern präsentiert, steht das Ankommen in einem anderen Land im Fokus. Einmal rückt speziell das Ankommen im Kontext einer (Urlaubs-)Reise in den Blick und ein anderes Mal wird das Ankommen als Migrationserfahrung fokussiert - einschließlich der damit verbundenen (ambivalenten) Gefühle, wie zum Beispiel Angst, Kummer, Mut oder Hoffnung. Es geht aber auch um das „Ankommen" bei sich selbst im Sinne einer Identitätsfindung.

Beurteilungstext

Dieses Wendebilderbuch macht von Beginn an sehr neugierig und regt zum Nachdenken an: Wendet man das Buch immer direkt auf den jeweiligen Doppelseiten oder erst ganz am Ende? Jede Rezeptionsweise eröffnet neue Horizonte – egal, ob die beiden Geschichten jeweils ‚am Stück‘ oder parallel gelesen werden. Für die Kinder nachvollziehbarer dürfte es allerdings sein, wenn eine Geschichte zunächst bis zu Ende gelesen und das Buch danach gewendet wird.
Im Buch werden zwei Perspektiven präsentiert, die sehr unterschiedlich ausfallen, aber trotzdem auch vordergründige Gemeinsamkeiten aufweisen. Ein Kind macht Urlaub mit seinen Eltern an einem unvertrauten Ort und ein anderes Kind berichtet von der Auswanderung seiner Familie in ein fremdes, namentlich nicht erwähntes Land. Das Wort „Flucht“ wird nicht verwendet, kann aber auf die Geschichte, die erzählt wird, bezogen werden.
Die Autorin geht in ihrem Bilderbuch sehr sensibel vor und vermeidet glücklicherweise eine plakative Ineinssetzung beider Situationen, die schlussendlich unterschiedlich bleiben. Aus der Ich-Perspektive des Kindes, das in ein anderes (unbenanntes) Land migriert, werden Unsicherheiten, Sorgen und Verlustängste nachgezeichnet, denn „das Neue schmeckt anders“ (o.S.), aber es scheinen auch Hoffnung, Kraft, Zuversicht und Mut auf: „Die neue Sprache lerne ich bald. Schule, Freunde, hab keine Angst“ (o.S.). Das positive Credo am Ende zeigt: Alles kann gut werden und auch die anfängliche Angst, sich selbst zu verlieren und nicht mehr wiederzuerkennen, kann irgendwann den Weg frei machen für eine neue Identitätsfindung.
Die zweite Perspektive ist anders, allerdings gibt es auch hier eine fremde Landschaft, fremdes Essen, ein anderes Wetter und andere Menschen. Dennoch werden, was nachvollziehbar und wichtig ist, insbesondere die Unterschiede hervorgehoben. Viele Motive, wie beispielsweise das Kofferpacken, werden zwar in beiden Geschichten aufgegriffen, stehen aber in einem völlig anderen Kontext. So geht es in einer Geschichte um das Kofferpacken, mit allem, „was Spaß macht“ (o.S.) und in der zweiten Geschichte wird die schwierige und quälende Entscheidung thematisiert, was überhaupt mitgenommen werden darf und was in der alten Heimat zurückbleiben muss. Somit regen gerade die Unterschiede (und etwaigen Gemeinsamkeiten) zum Nachdenken und zur kritischen Reflexion an.
Ein Identifikationspotential besteht für die noch jungen Rezipient*innen in mehrfacher Hinsicht. Auch wenn Kinder keinen Migrationshintergrund haben und sie die Situation der Auswanderung nicht selbst erlebt haben, können sie vielleicht die Perspektive des Kindes nachvollziehen, das eine Reise in ein fremdes Land erlebt - ohne dabei die Perspektive einer Migrationserfahrung einnehmen zu müssen, was sicherlich problematisch wäre.
In erzählerischer Hinsicht ist das Buch raffiniert konzipiert: Die vordergründigen Gemeinsamkeiten – ähnliche Motive, die in beiden Geschichten aufgegriffen werden, dieselben Satzstrukturen (vgl. nur die anaphorische Wiederholung „…und dann“), die Ich-Perspektive sowie die identischen Bilder, die lediglich von einem anderen Blickwinkel aus betrachtet werden - regen zum Nachdenken darüber an, wie viele Gemeinsamkeiten es tatsächlich gibt oder geben kann.
Die kleinen, ausdrucksstarken Buntstiftzeichnungen machen den Kindern sicherlich Lust darauf, genauer hinzuschauen, viel zu entdecken und Bezüge zur Geschichte herzustellen. Die Zeichnungen sind sehr fantasievoll ausgestaltet, auf den Doppelseiten jeweils ‚locker‘ verteilt und sie erinnern an kleine Zeichnungen, die der Junge aus seiner kindlichen Perspektive selbst (in die Luft) malt, um seinen Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Die Bilder wirken dabei sehr ‚lebendig‘, gewinnen eine Art 'Eigenleben' und markieren damit auch die 'Bewegung‘ auf der Handlungsebene.
Für Vorlesegespräche mit Kindern bietet das Buch ein großes Potential. Das Bilderbuch sollte gemeinsam mit Erwachsenen rezipiert werden, um die besondere Wirkung des ästhetischen Gesamtkunstwerks zu entfalten. Über Impulse, die auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Perspektiven eingehen, bis hin zu Impulsfragen, die auf eine subjektive Involviertheit ausgerichtet sind, gibt es viele Möglichkeiten der literarischen Anschlusskommunikation.

Ein insgesamt sehr poetisches, liebevoll konzipiertes und originelles Bilderbuch, das nicht nur ein sensibles Thema aufgreift, sondern gerade aufgrund seiner besonderen ästhetischen Gestaltung veranschaulicht, wie komplex Bilderbücher gestaltet sein können – sowohl in inhaltlicher als auch in sprachlicher, bildlicher und erzählerischer Hinsicht.

Anmerkung

Das Bilderbuch ist besonders für Vorlesegespräche mit Lehrkräften oder sonstigen erwachsenen Bezugsinstanzen geeignet. Es sollte u.a. aufgrund seiner besonderen ästhetischen Gestaltung und Komplexität gemeinsam mit Erwachsenen rezipiert werden.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Nadine Schmidt; Landesstelle: Nordrhein-Westfalen.
Veröffentlicht am 05.11.2024

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