Über Mut im Untergrund Eine Erzählung von Freundschaft, Anstand und Widerstand im Berlin der Jahre 1943-1945

Autor*in
Vogel, Ilse-Margret
ISBN
978-3-86732-157-0
Übersetzer*in
Hercher, Jutta
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
221
Verlag
Lukasverlag
Gattung
Ort
Berlin - www.lukasverlag.com
Jahr
2014
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
19,80 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Ihre letzten beiden Kriegsjahre in Berlin beschreibt die Autorin lebendig, frech und souverän - so wie sie auch gelebt hat. Sechs Freunden ist sie begegnet, hat sie verborgen, ihnen geholfen, ließ sich von ihnen helfen. Jedem ist ein Kapitel gewidmet, unterbrochen von kurzen Kapiteln über Hoffnung, Liebe, Angst, Hunger und Verlust - den allgegenwärtigen Gefühlen in den letzten Kriegstagen Berlins.

Beurteilungstext

Fast fünfzig Jahre später erst hat die Autorin in ihrer neuen Heimat, den USA, wo sie Erfolg als Kinderbuchautorin hatte, ihre Kriegsgeschichten verfasst. Nicht verloren gegangen ist ihr der unmittelbare Ton einer fünfundzwanzigjährigen Kunststudentin, die sich mit einer frechen Selbstverständlichkeit gegen ein Regime wehrte, so dass auch junge Leser von heute den Mut verspüren, den sie aufbringen musste - ohne das selbst unbedingt als Mut zu bezeichnen. Ihr Alltag war geprägt durch den unmittelbaren Zwang, sich um das tägliche Essen zu kümmern. Dabei trifft sie auf Freunde, die ihr helfen ebenso wie auf solche, die sie vor den Verfolgungen der Nazis verbirgt, in ihrem möblierten Zimmer in der Meineckestraße, nahe dem Kurfürstendamm. Immer wieder beschreibt sie ihre Routen durch die Stadt, immer mehr Häuser werden zerbombt - erst in den letzten Tagen verliert auch sie ihre Wohnung.
Hunger ist allgegenwärtig - ein Gefühl, das wir heute nicht mehr kennen, jedenfalls nicht so wie sie, für sie ist er ein wildes Tier, das sich nur kurzfristig beruhigen lässt. Dabei geraten die selbstverständlichen Tugenden von Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe ins Wanken, Liebe kann gefährlich werden oder gefährlich nahe gehen - also meidet man sie. Ihre Hilfsbereitschaft wird von einem der Flüchtlinge so missbraucht, dass sie keine Möglichkeit sieht, ihm weiter zu helfen - dass sie ihn damit der Gefahr des Todes aussetzt, kann sie nur damit rechtfertigen, dass er sie und andere zuvor in höchste Lebensgefahr gebracht hatte. Selbstverständlich ist ihr, eine Schulfreundin zu versorgen, von der sie gar nicht wusste, dass sie Jüdin ist.
Sie tariert genau aus, an welchen Stellen sie ihre Haltung zum Naziregime äußern kann, aber schon ihre konsequente Weigerung, bei den zahllosen Luftangriffen den Luftschutzkeller aufzusuchen, weil sie es unter den vielen Nazis einfach nicht aushält, bringt sie ebenso täglich in Gefahr wie ihre konsequente Verweigerung des Nazigrußes.
Man konnte auch überleben, ohne sich zu verbiegen. Nur wenigen war es vergönnt, das zu erkennen und wenigen ist es vergönnt, das so lebendig, humorvoll, lebensfroh und unmittelbar beschreiben zu können. Die regimekritische Subkultur der Reichshauptstadt bekommt durch Vogels Bericht eine starke Stimme.
Leider haben die Herausgeberinnen m.E. zu sorgfältig ediert: Fast auf jeder Seite lenken Fußnoten den Fluss der Lektüre ab; das wäre nicht nötig gewesen, zumal ein Großteil der Anmerkungen im sehr umfassenden und faktenreichen Nachwort ohnehin noch einmal erklärt werden. Gerade junge Leser werden eher irritiert, als dass sie etwas mit den Fußnoten anfangen könnten. Inhaltlich sind sie allerdings schon wichtig, da Vogel recht frei mit den historischen Fakten umging. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass sie keinerlei Tagebuch führte und nach 50 Jahren einiges durcheinander brachte - aber nebbich: Am Wahrheitsgehalt ändern diese Details nichts. Die Atmosphäre beschreibt die Autorin so dicht, so schlüssig, dass sich dem Leser dies unmittelbar mitteilt. Und das ist das Wichtige, nicht ob ein Handlungsdetail 1943 oder 1944 stattfand. Ihr Leben steht in seiner Wahrheit vor uns.
Allenfalls ließe sich mit diesem Text die Problematik von Zeitzeugenaussagen diskutieren - dafür wäre mir die Erzählung aber zu schade. Es geht um den Mut, den man in außergewöhnlichen Zeiten aufbringen kann, wenn man will.
Und deswegen ist dieses Buch auch jeder Schulbibliothek zu wünschen. Cjh15.01

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010