Über kurz oder lang

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Teaser

Louis weiß, was er nicht will: zur Schule gehen. Ansonsten ist dem 14-jährigen Achtklässler eigentlich alles egal. Als das einwöchige Pflichtpraktikum seiner Schule ansteht, widerspricht er daher nicht, als seine Großmutter ihn - mehr aus Mangel an Alternativen denn aus Überzeugung - bei ihrem Friseursalon unterbringt. Das Praktikum beginnt - und Louis wird im Handumdrehen verzaubert von Madame Marielou und ihrem Team.

Beurteilungstext

Die französische Kinder- und Jugendbuchautorin Marie-Aude Murail ist hierzulande bekanntgeworden durch ihren preisgekrönten Roman "Simpel" über das Leben eines geistig behinderten Jugendlichen. Mit "Über kurz oder lang" knüpft sie an diesen Erfolg an. Wieder ist die Gemengelange explosiv, und wieder versteht sie es, ihre Leser ebenso zu schockieren wie zu amüsieren. Louis blickt hinter die Fassade der stets gut gelaunten Haareschneider des Salons Marielou und sieht Abgründe. Die bezaubernde Clara, das coole Lehrmädchen Garance, der geniale Fifi, die Chefin selbst - ein normales Leben führt keiner der Kollegen, das Schicksal meint es nicht gut mit ihnen. Doch davon lassen sich die Protagonisten nicht unterkriegen, sie kämpfen gegen die Tristesse an.
Bald muss Louis ebenfalls kämpfen - gegen den Vater. Der Sohn will Frisör werden? Das steht den Vorstellungen des autoritären Familienhaupts, einem erfolgreichen Chirurg, entschieden im Weg. Louis aber findet im Salon Marielou ein neues Zuhause, er schwänzt die Schule, um hier das Friseurhandwerk zu studieren. Der Showdown nimmt seinen Lauf, unausweichlich seinem dramatischen Höhepunkt entgegen. Doch Marie-Aude Murail gelingt es abermals, dem Roman eine Wendung zu geben. Mit einem herzergreifenden Epilog öffnet die Autorin dem Leser einen Blick in Louis' Zukunft und rettet damit die vielen Parabeln, die das Buch bereithält.
"Über kurz oder lang" zeichnet eine Welt, die alles andere als idealtypisch ist. Es wird gedroht und geschlagen, es wird verhöhnt und verachtet. Doch Murail glaubt an ihre Protagonisten und setzt auf Menschlichkeit und Idealismus als starken Kontrapunkt. "Glaube an dich und lebe dein Leben", ruft sie ihren Lesern zu. Damit ist das Buch in einer Gesellschaft, die viel - vielleicht zu viel - Wert auf Status und Ansehen setzt, hochaktuell und auch als Klassenlektüre in Haupt- und Realschulen uneingeschränkt empfehlenswert.