The Hate U Give

Autor*in
Thomas, Angie
ISBN
978-3-570-16482-2
Übersetzer*in
Zeltner, Henriette
Ori. Sprache
Amerikanisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
512
Verlag
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
München
Jahr
2017
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
18,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

The hate u give little infants fucks everybody! Stellt die 16-jährige Starr zu Beginn noch in Frage, ob sie überhaupt auf die Spring-Break-Party von Big D hätte gehen sollen, ist letztlich dieser Abend der Grund, dass Starr ihre eigene Stimme findet. Ihre Stimme für alle Khalils dieser Welt, ihre Stimme, um zu kämpfen für Toleranz, Gerechtigkeit und gegen jede Form des Rassismus.

Beurteilungstext

Starr erlebt die Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft am eigenen Leib, denn sie lebt in zwei Welten. Ihre hood ist Gardens Heights, ein von Gangs regierter Stadtteil, in dem Gewalt und Drogenkriminalität Alltagsgeschäfte sind. Zwar halten ihre Eltern zu diesem Stadtteil, in dem sie selbst aufgewachsen sind. Zugleich aber schicken sie ihre Kinder auf die 45 Minuten entfernt liegende Williamson Prep, eine Privatschule, auf der Starr und ihr Bruder Seven zu den ganz wenigen Afroamerikanern gehören, die vornehmlich als Paradiesvögel angesehen werden: coole Trendsetter. Diese Rolle versucht Starr unter großer Anstrengung auszufüllen, was zugleich bedeutet, beide Seiten getrennt voneinander zu halten. Ein angepasstes, ruhiges Auftreten und die Vermeidung von jeglicher Slang-Sprache sind dafür erste Regel, um nicht als „angry black girl“ oder „gettho bitsch“ eingeordnet zu werden. Ihr gut fragiles Leben in zwei Welten droht einzustürzen als sie mit ansehen muss, wie ihr Freund Khalil aus Kindertagen von Officers Brian Cruise Junior erschossen wird.

Khalil gabelt Starr bei der Spring-Break-Party auf und trägt die Insignien eines plötzlichen Reichtums: „brandneue Jordans, ein strahlend weißes T-Shirt und Diamanten in seinen Ohren“. Auf der Fahrt zu Starr wird Khalils Chevrolet Impala von der Polizei gestoppt, wird Khalil zum Aussteigen mit erhobenen Händen gezwungen und abgetastet. Dann aber macht Khalil den einzigen entscheidenden Fehler und bewegt sich, als der Polizist ihm den Rücken zuwandte:
„Er öffnet die Fahrertür. 'Starr, bist du ok?' Peng! Khalils Körper zuckt. Von seinem Rücken spritzt Blut. Er klammert sich an die Tür, um sich auf den Beinen zu halten. Peng! Khalil keucht auf. Peng! Khalil sieht mich erstaunt an. Er stürzt zu Boden. Ich bin wieder zehn und sehe Natasha fallen.“
Der Wahnsinn: Khalil ist unbewaffnet und die Schüsse gelten seiner Hautfarbe, die Szene einer Exekution am Straßenrand.

Und an diesem Punkt findet Angie Thomas Debütroman seinen gesellschaftskritischen und appellativen Ausgangspunkt. Als einzige Zeugin liegt es in Starrs Hand, dafür einzutreten, dass Khalil Gerechtigkeit erfährt. Aber sie hat Angst. Angst vor der Polizei, vor den Verurteilungen und davor, dass ihr Leben in zwei Welten gänzlich scheitert. Der Fall Khalil nämlich wird medial aufgenommen und instrumentalisiert: Khalil sei ein Thug (Verbrecher) und sein Tod dadurch gerechtfertigt. Die Polizei ist entsprechend kaum an einer ernsthaften Aufklärung der Ereignisse interessiert und die Wut der Menschen in Gardens Heights wächst sich zu gewaltsamen Ausschreitungen aus, die nur durch massiven militärischen Einsatz zerschlagen werden können. In dieser Situation den Mut aufzubringen, als Zeugin auszusagen, ist eine riesige Herausforderung.

Dass Angie Thomas mit ihrem Roman nicht nur ein virulentes Thema aufgreift – jedem werden die Szenen um den 18-jährige Afroamerikaner Michael Brown Jr. am 10. August 2015 in Ferguson, Missouri/USA noch vor Augen stehen –, sondern zugleich einen wunden Punkt der amerikanischen Polizei thematisiert, zeigt die Reaktion einer Bezirksgruppe des Polizistenverbands "Fraternal Order of Police", dessen Präsident die Präsenz von The hate u give auf der Leseliste einer High School in South Carolina als Indoktrination mit dem Ziel bezeichnet, der Polizei zu misstrauen.
Die Reaktion ist ein weiterer Beweis für die schmerzhafte Erkenntnis der Autorin Angie Thomas: "Alle Leben sollten wichtig sein, aber wir haben ein systematisches Problem in diesem Land, wo schwarze Leben nicht wichtig genug sind." Thomas hofft, mit ihrem Buch zu dem Verstehen beizutragen, warum schwarze Menschen sagen: "Black lives matter". Besonders gelungen ist es Angie Thomas dabei, die Widersprüchlichkeit aufzunehmen, in eine stimmiges Geflecht aus Abhängigkeiten zu überführen und die Wirkmacht von Vorverurteilungen darzustellen, ohne ihnen mit umgekehrten Vorzeichen selbst zu erliegen, wie Küchemann in der FAZ resümiert. In einer rasanten und hoch spannenden Erzählung arbeitet Angie Thomas dabei den tief in der US-Gesellschaft verwurzelten Rassismus auf verschiedenen Ebenen heraus, sei es von der Polizei, den Medien oder von angeblichen Freundinnen und verzichtet konsequent auf einfache Schwarz-Weiß-Malerei – auch im wörtlichen Sinne.

Im Laufe der 500 Seiten umfassenden Erzählung gewinnt Starr zunehmend die Überzeugung, sich zu erkennen geben zu müssen, um den toten Freund nicht zu verraten. Und schließlich pariert sie die einfachen Zuschreibungen der Medien wie bspw. den Hinweis, Khalil sei ein Dealer gewesen, mit den Worten: „Ich wusste gar nicht, dass man einen Toten wegen seiner eigenen Ermordung anklagen kann.“

Der Roman „The Hate U Give“ entwickelt parallel viele Erzählzusammenhänge, die in ihrem Zusammenwirken die fesselnde Wirkung ausmachen. Besonders zentral aber erscheint der mit Verweis auf den ermordeten Rapper 2Pac gesetzte Schwerpunkt, dem der Roman seinen Titel verdankt: The hate u give little infants fucks everybody. Big Mav, der Vater von Starr, erklärt:
"Wenn die Khalils eingelocht werden, weil sie Drogen verkaufen, verbringen sie entweder einen Großteil ihres Lebens im Knast […] oder sie haben Probleme, einen richtigen Job zu finden und fangen dann wahrscheinlich wieder an zu dealen. Das ist der Hass, den sie uns geben, Baby, ein gegen uns gerichtetes System. Das bedeutet Thug Life."
Und Thug Life ist das Akronym zu The hate u give little infants fucks everybody, das 2Pac auf seinem Bauch tätowiert hat, und das für alle Minderheiten am unteren Ende der Gesellschaft gilt.

Dass dieser Titel Jugendliche anspricht, zeigt u. a. seine Nominierung durch die Jugendjury des Deutschen Jugendliteraturpreises. Und es wird nicht zuletzt die Sprache sein, die die ehemalige Rapperin Angie Thomas für ihre Figuren findet: „Laut, wütend, brutal, aber auch vielfältig und bunt. Thomas’ Sprache dröhnt wie der Sound der Straßen in Garden Heights“ so urteilt die Kritikerjury des Deutschen Jugendliteraturpreises.

Dieser Roman geht unter die Haut und einige Sätze wirken noch lange nach: „Leute wie wir werden in solchen Situationen zu Hashtags, aber Gerechtigkeit kriegen sie kaum einmal“, muss Starr feststellen.

(Jochen Heins, AJuM Hamburg)

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von jhe; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 17.02.2019

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