Spirou & Fantasio Gesamtausgabe. Band 1: Die Anfänge eines Zeichners

Autor*in
Franquin, André
ISBN
978-3-551-71621-7
Übersetzer*in
Hein, MichaelLe Comte, Marcel
Ori. Sprache
Französisch
Illustrator*in
Franquin, André
Seitenanzahl
208
Verlag
Carlsen
Gattung
Comic
Ort
Hamburg
Jahr
2014
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
29,90 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Endlich! Nach Jahren des ungeduldigen Wartens liegt der erste Band der Spirou & Fantasio Gesamtausgabe von André Franquin vor. Seit 1946 prägte der Belgier das Erscheinungsbild der Serie und wurde neben Hergé und Uderzo/ Goscinny zu einem der berühmtesten europäischen Comic-Künstler. Neben den hier vorliegenden frühen Abenteuern des berühmten Hotelpagen Spirou und des Fotoreporters Fantasio enthält dieser Band der Gesamtausgabe auch einen ausführliche Kommentar zur Serie.

Beurteilungstext

Eines vorab: Wer bei dem vorliegenden Band 1 der Abenteuer des Spirou und Fantasio über 200 Seiten voll mit unsterblichen Abenteuern erwartet, wird enttäuscht werden. Das meiste von dem, was hier abgedruckt ist, hat nicht die Frische und Unvergänglichkeit, die man von späteren Spirou-Abenteuern aus der Feder André Franquins (1924-1997) kennt. Es sind v.a. die Geburtswehen und Kindertage der Serie, die den Band füllen. Wenn man dies hinzunehmen bereit ist, kann man bei diesen comic-historisch wertvollen „Anfängen eines Zeichners“ sehr viel entdecken.

Denn unbestritten ist Franquin einer der wichtigsten Comic-Künstler Europas. Er wurde 1924 in Brüssel geboren. Nachdem er zuvor die Académie St.-Luc besucht hatte, begann er im Alter von 23 Jahren die Titelseite für das belgische Magazin ""Spirou"" zu zeichnen. ""Spirou und Fantasio"" war 1938 von Rob-Vel erdacht und seit 1944 von Jijé betreut worden, doch erst Franquin, der als dritter Zeichner der Serie 1946 mit der Kurzgeschichte „Der Tank“, sowie der Fortsetzung der von Jijé begonnenen Slapstick-Story „Das Fertigteilhaus“ seinen Einstand gab, verlieh ihr den eigenen Charakter, der sie bis heute so beliebt macht. Beide Geschichten sind zu Beginn des Bandes erstmals für den deutschen Markt veröffentlicht. Obwohl man bei diesen eher mittelmäßigen Strips weder Jijés noch Franquins typischen Zeichenstil wiedererkennt – ja nicht einmal bei genauerem Hinsehen den Übergang von Jijé zu Franquin bemerkt, und die Geschichten wenig internen Zusammenhang und keinerlei erzählerische Pointe besitzen - kann man doch schon die charakterlich differenzierten Protagonisten erkennen, die für die Dynamik und Fortgang der Geschichten so wichtig sind. Der moralisch unanfechtbare Hotelpage Spirou und sein meist etwas unmoralischer (und arbeitsloser) ""Sidekick"" Fantasio - bei dem der Name Programm ist - zerstören in der ersten Geschichte mit Hilfe eines deutschen Panzers eine ganze Kleinstadt. Im ""Fertigteilhaus"" versuchen sie scheinbar dieselbe wieder aufzubauen. Leider erfolglos - wie man anmerken muss.

Doch schon in der Folgegeschichte „Die Erbschaft“ (1946/47) sind deutliche Fortschritte zu verzeichnen. Spirou erbt darin ein geheimnisvolles Landhaus von einem entferneten Verwandten, in dem merkwürdige Dinge vorzugehen scheinen... Der Plot dieser Story wirkt kohärenter und an einigen Panels kann man bereits den Stil der durchkomponierten ligne clair Franquins erkennen: Stark stilisierte Figren vor detail-realistischen Hintergrund. Die vierte graphische Erzählung ""Radar, der Roboter"" (1947) - worin die beiden Protagonisten auf amüsante und differentierte Art & Weise die Segen und Flüche des technischen Fortschritts ausloten - verfügt erstmals über einen klar erkennbaren Spannungsbogen – der für die späteren Geschichten Spirous so maßgeblich ist. In den letzten zwei Storys des Bands aus den Jahren 1949/50 - deren Schauplätze der afrikanische Urwald und die Prärie des wilden Wetsens sind - ist der typische zeichnerische und erzählerische Stil Franquins dann bereits voll ausgereift. Spirou verfügt jetzt über die allgemein bekannte Physiognomie. Die Erzählperspektive ist distanzierter und ironischer, die Figuren verfügen alle über den gleichen Grad an stark stilisierter Charakterparodie, und Franquin kreiert bei der Gestaltung der realistischen Hintergründe die geschlossene Welt des ländlich-kleinstädtisches Mitteleuropas.

Dieser Band dokumentiert, in welch kurzer Zeit Franquin seine künstlerischen Lehrjahre durchläuft - an deren Ende bereits jene Abenteuer stehen, die man vor Augen hat, wenn heute sein Name fällt. Sein großer dokumentarischer Wert zeigt sich noch an anderer Stelle: Gerade an den frühen Geschichten sind sehr gut die politischen Stereotype und Klischees der 40er und 50er ablesbar. Es ist den Herausgebern und Lektoren dieser Gesamtausgabe hoch anzurechnen, dass sie beispielsweise eine (aus heutiger Sicht?) antisemitische Entgleisung dokumentieren, die Franquin später korrigiert hat. Auch die späteren Geschichten „Die Erbschaft“ und „Spirou bei den Pygmäen“ dokumentieren (oder parodieren?) ebenso rassistische und eurozentristische Klischees wie einst bei Hergés Serie „Tim und Struppi“. Leider schweigt sich der Kommentar über diese Aspekte aus – und bleibt völlig auf der dokumentarischen Ebene der Editionsgeschichte. Insgesamt fällt der Kommentar dadurch etwas mager aus – auf motivgeschichtliche, kulturwissenschaftliche oder politische Seitensprünge wartet man vergebens. Man kann sich kaum dem Eindruck verwehren, dass der Verlag sich nicht sicher gewesen ist, ob man sich wirklich ganz an ein erwachsenes Publikum wenden soll – oder ob man mit dieser Ausgabe auch jugendliche Neuentdecker gewinnen möchte. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass ein Inhaltsverzeichnis ebenso fehlt wie exakte Angaben zu Publikationsorten und –zeiten.

Dennoch ist dieser erste Band der Abenteuer „Spirou und Fantasios“ eine mehr als lohnende Anschaffung. Was die redaktionellen Begleittexte angeht, darf jedoch selbst der jugendliche Leser höhere Ansprüche haben. Vielleicht ändert sich dies ab Ausgabe zwei. Es wäre sehr zu wünschen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von OWA.
Veröffentlicht am 01.04.2015

Weitere Rezensionen zu Büchern von Franquin, André

Franquin, André

Spirou & Fantasio Gesamtausgabe. Band 8: Humoristische Abenteuer

Weiterlesen
Franquin, André

Mythos Zyklotrop

Weiterlesen
Franquin, André

Spirou & Fantasio Gesamtausgabe. Band 6: Unheilvolle Erfindungen.

Weiterlesen
Franquin, André

Spirou & Fantasio Gesamtausgabe. Band 2: Von Rummelsdorf zum Marsupilami

Weiterlesen
Franquin, André

Am anderen Ende Angst

Weiterlesen