So wüst und schön sah ich noch keinen Tag

Autor*in
LaBan, Elisabeth
ISBN
978-3-446-25082-6
Übersetzer*in
Kollmann, Birgitt
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
280
Verlag
Hanser
Gattung
Ort
München
Jahr
2016
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
16,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Wie wäre das Leben von Tim und allen Beteiligten verlaufen, wenn die Weichen anders gestellt gewesen wären? LaBan lotet in ihrem Debüt-Roman die „Tragweite“ von Entscheidungen aus und erzählt dazu eine – oder müsste man sagen zwei? – ergreifende Liebesgeschichte, die jeden Leser dazu anregt, sein eigenes Verhalten zu überdenken.

Beurteilungstext

Mit dem Roman „So wüst und schön sah ich noch keinen Tag“ erfüllt sich die amerikanische Autorin Elisabeth LaBan einen Jugendtraum. Schon als Schülerin wollte sie eine Geschichte erzählen, die eine Mischung aus Dreiecks-Liebesbeziehung und klassischer Tragödie ist. Als Leser darf man nun dankbar sein, dass sie sich nicht durch das Leben davon hat abbringen lassen.
Nach der klassischen Tragödien-Theorie verfolgt man als Zuschauer bei einer Tragödie das unausweichliche Scheitern des tragischen Helden, was Jammer und Schaudern hervorruft, wodurch eine Reinigung derartiger Erregungszustände bewirkt wird. Die Katharsis.
Tim ist ein solcher tragischer Held. Weil er ein Albino ist, wird er immer angestarrt und gemobbt, weshalb er sich für das Abschlussjahr in dem renommierten Irving-Internat vorgenommen hat, möglichst nicht aufzufallen. Durch einen sagenhaften Zufall aber lernt er die begehrenswerte Vanessa kennen. Er führt mir ihr lange Gespräche, riskiert Schulverweise und fühlt sich das erste Mal zugehörig. Alles erscheint auf einmal möglich. Da ihm aber der Mut fehlt, offen über seine Gefühle zu sprechen, nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Das tragische Unglück verändert das Leben aller Beteiligten.
Ohne Frage ist das der Stoff, aus dem wirkmächtige Tragödien gemacht werden. Der erzählerische Kunstgriff von LaBan ist nun, dass man als Leser die Katharsis nicht nur am eigenen Leib erfahren kann, sondern die reinigende Kraft der Tim-Vanessa-Tragödie außerdem in einer Rahmengeschichte an einer weiteren Figur beobachten kann.
Duncan ist ebenfalls Schüler der Irving-Highschool und durch Zufall Teil der Tim-Vanessa-Tragödie geworden. Als er nach den Sommerferien ausgerechnet in Tims altes Zimmer einzieht, hat dieser ihm eine Sammlung CDs hinterlassen, auf denen er Duncan die ganze Tragödie von Anfang bis Ende erzählt. Als Leser des Romans liest bzw. hört man dadurch parallel mit Duncan die Tim-Vanessa-Tragödie und kann dadurch die kathartische Wirkung an sich selber und an Ducan beobachten. Dieser nämlich wird zunehmend in den Bann von Tims Erzählung gezogen. Beinahe droht auch er zu einem tragischen Helden zu werden. Aber eben nur beinahe, denn er trifft mutig eigene Entscheidungen.
Und noch auf einer weiteren Ebene wird das Thema „Tragödie“ thematisiert. Traditionell müssen die Schüler des Abschlussjahrgangs auf der Irving-Highschool eine Abhandlung zu dem Thema schreiben, was eine Tragödie ausmacht. Stoff hat Duncan dazu genug und in der Auseinandersetzung mit Fragen der folgenden Art findet er zu eigenen Antworten: Wann scheitert ein Held? Ist dieses Scheitern unvermeidlich? An welchem Punkt hätte wer sich anders verhalten können und müssen?
Das Buch von LaBan ist nicht nur auf der Erzählebene komplex komponiert, sondern auch reich an literarischen Anspielungen. So heißt Tim bspw. Macbeth mit Nachnamen und der Titel des Romans entstammt aus der gleichnamigen Tragödie von Shakespeare.
Eine Anforderung für Jugendliche, die wenige Erfahrungen bei der Lektüre anspruchsvoller literarästhetisch komplexer Romane haben, könnte darin bestehen, dass LaBan sich und ihren Figuren viel Zeit und Raum gönnt, nachzudenken und zu reflektieren. Dadurch gelingt ihr eine zart erzählte Geschichte über intensive Gefühle. Wenn man sich aber als Leser nicht auf diese „was-wäre-wenn“-Gedanken einlässt, dann könnte man dem Buch stellenweise Längen nachsagen. Allerdings könnte der Roman ohne diese Momente der Einkehr nicht die gleiche „Tragweite“ entwickeln.
Ein großartiger Roman!
(AJuM Hamburg, Jochen Heins)

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Diese Rezension wurde verfasst von jhe; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 31.08.2016