Sie mussten nach links gehen

Autor*in
Hesse, Monica
ISBN
978-3-570-16602-4
Übersetzer*in
Stoll, Cornelia
Ori. Sprache
Amerikanisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
445
Verlag
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
München
Jahr
2020
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
18,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Im Frühjahr 1945 nach der Befreiung des KZ Groß-Rosen in Polen durch die Rote Armee ist die 17jährige Zofia Ledermann auf der Suche nach ihrem Bruder Abek. Sie beide waren die Einzigen ihrer jüdischen Familie, die nicht sofort nach links in die Gaskammern geschickt wurden. Unbeirrbar und unerbittlich mit sich selbst macht sie sich auf die Suche nach ihm.

Beurteilungstext

Monica Hesses gut recherchierter und beeindruckender Jugendroman setzt sich mit der im Jugendbuchbereich kaum thematisierten Situation der Displaced Persons (DP) in Europa in der unmittelbaren Nachkriegszeit auseinander.
Zutiefst verletzt und traumatisiert, durch Todesmärsche, Folter und Hunger ausgezehrt und körperlich dem Tode oft näher als dem Leben, versuchen die wenigen Überlebenden der KZs und Vernichtungslager irgendwie zu überleben. Suchdienste, internationale Hilfsorganisationen und Organisationen der Besatzungsmächte versuchen mit der Einrichtung von Camps und Anlaufstellen zu helfen. Eines der bekanntesten Camps für DPs war das Lager „Föhrenwald“ bei München – errichtet von der US-Army auf dem Gelände einer ehemaligen chemischen Fabrik der IG Farben, die Zyklon B für die Vernichtungslager herstellte.
Genau hierhin kommt Zofia, einem vagen Hinweis auf einen Jungen folgend, der ihr Bruder sein könnte. Ihre große Hoffnung ist, dass sie ihren Bruder findet und mit ihm in ihrer polnische Heimatstadt Sosnowiec ein neues und irgendwie normales Leben beginnen kann. Diese Hoffnung erweist sich schon zu Beginn ihrer Suche als trügerisch, denn dort wo ihre Familie zuhause war und eine gut gehende Textilfabrik hatte, ist nichts mehr wie es war: Ihr Haus ist von anderen bewohnt, niemand aus der Familie lebt mehr und ihr wird deutlich signalisiert, dass sie als Jüdin unerwünscht ist. Die Suche nach ihrem Bruder treibt einerseits die Handlung voran, während andererseits Zofias Flashbacks, Erinnerungen, Bilder und Träume an die Schrecken und den Terror der Deportation und das Überleben in Auschwitz eine glaubwürdige und überzeugende Innensicht dieser jungen traumatisierten Frau geben. Die Trauer um die vielen ermordeten geliebten Menschen und Schuldgefühle wegen des eigenen Überlebens kennzeichnen die Gefühlswelt vieler Holocaust-Überlebenden – so sind auch Zofias Erinnerungen an Abek immer wieder andere. Und sie droht innerlich zu zerbrechen an ihrem Gefühl versagt zu haben, hatte sie doch den Auftrag, den kleinen Bruder immer zu schützen und für ihn da zu sein. So muss sie aus Selbstschutz und um sich nicht aufzugeben lange Zeit innere Türen verschlossen lassen. Erst als im Lager Föhrenwald ein Junge namens Abek mit dem ganz speziellen Mantel auftaucht, in den Zofia die Nähkünstlerin ihr spielerisches Familien-ABC (A für Abek, B für Baba Rose,…Z für Zofia) eingenäht hat, öffnet sich die verschlossene Tür und sie erkennt, dass Abek schon tot ist als sie in Auschwitz ankommen: „In diesem Waggon ließ ich Stücke meiner selbst zurück, Stücke, die ich nie mehr zurückbekommen werde. Ich ließ sie unwillentlich zurück, weil mein Gedächtnis mich zwang, diese unfassbaren, entsetzlichen Minuten auszulöschen. Ich ließ sie willentlich zurück, um mich selbst zu schützen, denn hätte ich mich an diese Geschichte erinnert, hätte ich jeden Lebenswillen in mir zerstört. Und so unbeschreiblich es klingen mag, ich wollte immer noch leben.“ (S. 420) Schließlich kann Zofia vorsichtig und ein wenig zuversichtlich in die Zukunft in einem anderen Land schauen, ein neues Alphabet und damit eine neue Geschichte schreiben, hat sie doch im Lager auch Freundinnen wie Breine und Esther gefunden und sich in Josef verliebt, der ein anderer ist, als er vorgibt zu sein.
Monica Hesse hat einen gut komponierten und unbedingt empfehlenswerten Roman geschrieben, in dem neben der großartig gezeichneten Protagonistin Zofia auch die vielen Nebenfiguren authentisch wirken in ihrem nicht immer logischen, manchmal auch seltsamen Verhalten oder Benehmen.
Im Nachwort erläutert Hesse ihre Recherchewege und schreibt: „In dieses Buch ist viel Traurigkeit eingeflossen, weil es so viel Traurigkeit gab. Das Buch endet jedoch hoffnungsvoll, denn so unwahrscheinlich es klingen mag, es gab in den Lagern für Displaced Persons auch sehr viel Hoffnung…“ (S. 443)
Diese Traurigkeit in ein so vielschichtiges und berührendes Stück Literatur zu verwandeln – das ist Hesse exzellent gelungen.
Unbedingt lesenswert!!! Ab 14 Jahren und für alle.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von SRAn; Landesstelle: Hessen.
Veröffentlicht am 01.07.2021

Weitere Rezensionen zu Büchern von Hesse, Monica

Hesse, Monica

Zeit der Lügen

Weiterlesen
Hesse, Monica

Zeit der Lügen

Weiterlesen
Hesse, Monica

Zeit der Lügen

Weiterlesen
Hesse, Monica

Sie mussten nach links gehen

Weiterlesen
Hesse, Monica

Sie mussten nach links gehen

Weiterlesen
Hesse, Monica

Sie mussten nach links gehen

Weiterlesen