Schuhhaus Pallas

Autor*in
Fried, Amelie
ISBN
978-3-446-20983-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Schelleis, Stefanie
Seitenanzahl
188
Verlag
Hanser
Gattung
Biografie
Ort
München
Jahr
2008
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Amelie Fried, bekannt als Autorin und Fernsehmoderatorin, erzählt die Geschichte ihrer Familie von 1933 bis in die Nachkriegsjahre. Im Mittelpunkt stehen ihre Großeltern und deren - vor und nach der Nazizeit - hoch angesehenes Schuhhaus Pallas in Ulm, sowie ihr Verhältnis zum Vater. Vor allem geht es um die konfliktreichen Folgen des Boykotts jüdischer Geschäfte: Verunglimpfungen und Schikanen im Alltagsleben, physische und seelische Zerstörung damals und die Scham und das Schweigen danach.

Beurteilungstext

Als Kind hatte die Autorin mal aufgeschnappt, “dass mein Vater gegen Kriegsende in einem Lager inhaftiert gewesen sei...was für eine Art Lager das überhaupt war, wie lange er dort eingesperrt wurde, was sich in dem Lager abgespielt hat - es wurde nie darüber gesprochen, und niemand in der Familie wagte, danach zu fragen.” Schon gleich gar nicht - nach zaghaften misslungenen Versuchen- Amelie Fried selber.

Das Schweigen über die Zeit des Nationalsozialismus und die Folgen für die Familie Fried und andere Familien in Ulm, galt auch für die Familie Aicher-Scholl. Zumindest hat Amelie Fried es so wahrgenommen. Sie ging einige Jahre mit Pia, der Tochter von Inge Scholl und Otl Aicher zur Schule und war mehrfach zu Besuch im Hause der Familie Aicher-Scholl. Die waren nach dem Krieg mit Amelie Frieds Vater befreundet, der als Herausgeber und Kulturredakteur der Schwäbischen Donauzeitung arbeitete. “Vom Schicksal der Geschwister Scholl, immerhin Pias Tante und Onkel, wurde nicht gesprochen. Was genau mit ihnen passiert war, erfuhr ich erst viel später: als ich im Kino Die weiße Rose sah”, schreibt Amelie Fried in ihrem Buch.

Man darf es ihr glauben. In den meisten Täter- wie Opferfamilien Hitlerdeutschlands wurde die Zeit des Nationalsozialismus nach dem Krieg bis heute einfach ausgeblendet. Zu erdrückend war die Schuld der Mörder und Verleumder und zu groß die Scham der Opfer.

Im November 2004 entdeckt Frieds Mann Peter Probst im LeoBaeck Instititut, New York, in einem Gedenkbuch der Münchner Juden auch die Namen Max und Lilli Fried. Sie wurden im März 1943 deportiert und in Auschwitz ermordet. Das ist für Amelie Fried der Beginn einer ausführlichen Recherche für das vorliegende Buch. Sie akzeptiert ihre eigene Unwissenheit, ihr bruchstückhaftes Wissen über die weißen Flecken in den Familienbiographien nicht mehr und beginnt zu recherchieren. Sie durchforstet Archive, “löchert” Überlebende, findet dabei neue Verwandte und schreibt ein Buch, das geschrieben werden musste!
“Mit seinen Söhnen (und Töchtern) wollte mein Vater nicht sprechen. Mit seinen Enkeln kann er es nicht mehr. Deshalb erzähle ich ihnen seine Geschichte. Ihnen und allen anderen, die wissen wollen, was damals geschehen ist”, schreibt sie im Vorwort.

Die Geschichte erzählt, dass ihr Vater irgendwann nicht mehr für die Ulmer Tageszeitungen arbeiten durfte. Als Halbjude wurde er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und musste sich irgendwie durchschlagen. Im letzten Kriegsjahr wurde er zur Zwangsarbeit in einem Außenlager von Buchenwald gezwungen und nach dem Krieg war er zwar beruflich sehr erfolgreich, aber als er starb, ließ er seine drei Kinder “mit dem Gefühl zurück, nie erfahren zu haben, wer er wirklich war.” Es ist ein Verdienst dieses Buches, dieses weitverbreitete Phänomen zu begreifen: als Trauma des Nationalsozialismus.

Die Geschichte erzählt auch vom Großvater, der sich als Halbjude bis zur Schutzhaft dagegen wehrte, dass man ihm sein Schuhhaus wegnehmen wollte. Um dieses zu retten, lässt er sich sogar von seiner Frau scheiden und gerät dadurch nur noch mehr in Gefahr. Er überlebt das Regime nur durch ein fast unfassbares Wunder.

Letztendlich erzählt die Geschichte auch von Onkel Walter aus Seattle. Seine Eltern, Amelie Frieds Großonkel und Tante, sind in Auschwitz ermordet worden und er konnte unter schwierigen Bedingungen auswandern. Die Recherche für das Buch führt sie zusammen und sorgt so für ein Familiengedenken der besonderen Art.

Das Buch ist keineswegs nur für Jugendliche besonders geeignet, bei denen eine Distanz zum “Dritten Reich” von mehr als einem halben Jahrhundert zu relativieren und zu überwinden ist; nein, auch Erwachsene werden diese Spurensuche spannend und informativ finden. Viele Dokumente, Bilder, Gesprächswiedergaben, sowie über 70 informative Anmerkungen, eine ausführliche Zeittafel und Quellenangaben mit Archivdetails und Websites ergänzen diese sorgfältig recherchierte und dargestellte Familiengeschichte, die exemplarisch für viele andere steht und Alltagsgeschichte im Nazi-Deutschland sehr lebendig werden lässt. Wenn es ein Prädikat gäbe, das sehr empfehlenswert noch steigert, hätte es dieses Buch verdient.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von nb.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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