Sarajevo

Autor*in
Sacco, Joe
ISBN
978-3-03731-133-2
Übersetzer*in
Schüler, Christoph
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
176
Verlag
Edition Moderne
Gattung
Ort
Zürich
Jahr
2015
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
26,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die Belagerung der multiethnischen Stadt Sarajevo während des Bosnienkrieges dauerte von 1992 bis 1996 und forderte mehr als zehntausend Todesopfer. Die drei in einem Band zusammengefassten Reportagen des Comickünstlers und Journalisten Joe Sacco zeichnen ein facettenreiches Bild der Stadt und ihrer Einwohner am Ende des Bosnienkrieges jenseits aller Klischees und Betroffenheitslyrik.

Beurteilungstext

Joe Saccos dokumentarischem Comic SARAJEVO ist eine Einleitung des Balkan-Korrespondenten der Neuen Züricher Zeitung, Martin Woker, vorangestellt, in der dieser den Antrieb und die Motive des Comicautors zu ergründen versucht. Warum geht da jemand, einzig bewaffnet mit Tonband, Kamera und Skizzenbuch, in den Krieg und riskiert dabei sein Leben? Woker zufolge war es Saccos Ziel, „die Ursachen des Krieges zu verstehen“ und herauszufinden, „wer wann warum geschossen und gemordet hat.“ Ich denke hingegen, dass dies nun gerade nicht der entscheidende Beweggrund gewesen sein kann. Mit der Wahl des Comics als Medium und der Reportage als Genre hat sich der amerikanisch-maltesische Journalist gegen einen objektiven, rein dokumentarischen Zugang und für eine subjektiv-ästhetische Form der Auseinandersetzung mit den Geschehnissen auf dem Balkan, die sich Anfang bis Mitte der 1990er Jahre abspielten, entschieden. Die Frage nach den Ursachen des Krieges leitet ihn weit weniger als die nach dessen Folgen für die in den Einzelgeschichten porträtierten Personen und – etwas allgemeiner – für die Möglichkeit eines künftigen Zusammenlebens der Menschen auf dem Balkan, angesichts der weiterbestehenden ethnischen, religiösen und politischen Differenzen. Und weil dies keine Frage der Kausalität ist (Wer hat angefangen und wieso?), sondern eine psychologische (Was macht Krieg aus Menschen?), stellt sich die Sache doch etwas vertrackter dar.

SARAJEVO beinhaltet drei in sich geschlossene grafische Reportagen. Die erste Erzählung handelt von Neven, dem Fixer, und macht den deutlich größten Umfang des Comic-Bandes aus. Entgegen der im deutschen Sprachgebrauch üblichen Konnotation bedeutet Fixer hier, dass Neven als Gästeführer und Kontaktmann für die ausländischen Journalisten arbeitet. Er organisiert aber nicht nur Kontakte und Interviews mit den Opfern und Tätern des Konflikts, sondern ist zugleich Kronzeuge der Version der Geschehnisse und Ereignisse des Balkankrieges, die Sacco in seiner grafisch ganz in Schwarz-Weiß-Tönen gehaltenen Comicreportage entwirft. Anders als die „Farb“töne der Panels (Einzelbilder) setzt sich die Geschichte um den Sarajevoer Guide zu keinem Zeitpunkt der Gefahr aus, einem Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen: Zum einen besticht sie durch ihre Innenansicht der bosnischen Gesellschaft in den Jahren des Krieges, die auf jede Freund-Feind-Logik und damit verbundene Heroisierungen und Dämonisierungen verzichtet. Während der Lektüre wird nämlich klar, dass die fein säuberliche Unterscheidung zwischen Serben (als Tätern) und Bosniern (als Opfern) so nicht funktioniert; nicht etwa weil „Täter“ und „Opfer“ als Kategorien nicht taugen, sondern weil schon die davor zu treffende Unterscheidung zwischen „Serben“ und „Bosniern“ letztlich haltlos ist. Zum anderen erweist sich auch Neven als schlechter Gewährsmann einer „objektiven“ Rekonstruktion der Kriegsereignisse. Der Autor thematisiert die Probleme, die ihn von der historischen Wahrheit trennen: die seelischen Verwundungen und verdrängten Traumata seiner Gesprächspartner, die dazu führen, dass sich deren Erinnerungen in wesentlichen Punkten unterscheiden, sowie die gegenseitige Abhängigkeit des Reporters von seinem Fixer (der eine braucht eine Geschichte, der andere Geld), in die sich letztlich noch ein Schuld- und Verantwortungsgefühl Saccos gegenüber Neven einschleicht. In den Kurzreportagen SOBA und WEIHNACHTEN MIT KARADZIC setzt sich der Autor mit der Sichtweise der jugendlichen Einwohner Sarajevos auf den Krieg bzw. mit der Rolle der Medienvertreter im Konflikt auseinander.

Eine subjektive, persönliche Ebene macht in der Regel eine Reportage aus und unterscheidet sie von anderen journalistischen Darstellungsformen, doch in den Comics Saccos erreicht sie eine derartige Relevanz, dass man, wie oben angedeutet, nicht mehr davon ausgehen kann, hier handele es sich noch um einen Versuch, die Geschichte des Balkankrieges (neu) zu schreiben. Sein Pendeln zwischen den zeitlichen Ebenen (grafisch symbolisiert durch das Absetzen des Panelhintergrundes: weißer Hintergrund für die Jetztzeit des Erzählers, schwarzer Hintergrund für die Erinnerungen seiner Gesprächs- und Interviewpartner) geht meist mit einem Wechsel des Erzählrhythmus einher. Während die Rekonstruktion der erinnerten Ereignisse und Geschehnisse in weiten Bildfolgen arrangiert wird, erfolgt die Darstellung der zahlreichen Gespräche, Diskussionen und sonstigen Begleitumstände der Recherche in eher enger Bildfolge; in einigen Sequenzen scheint die Zeit förmlich still zu stehen. Das sind die Momente, in denen man als Leser den Protagonisten der Reportagen, einschließlich dem Reporter selbst, sehr nahe kommt: Selbst noch wenn sie fröhlich über scheinbare Belanglosigkeiten plaudern, spricht aus ihnen die Trauer über ihre gestohlene Jugend, über den Verlust der Angehörigen und das unermessliche Leid, welches ihnen zufügt wurde und das sie anderen zufügten.

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Diese Rezension wurde verfasst von mz.
Veröffentlicht am 01.10.2015

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