Rotkäppchen, wie geht es dir?

Autor*in
Gliemann, Claudia
ISBN
978-3-942640-12-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Lukk-Toompere, Regina
Seitenanzahl
48
Verlag
Monterosa
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)Sachliteratur
Ort
Karlsruhe
Jahr
2020
Lesealter
6-7 Jahre8-9 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
24,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Ja, wie geht es wohl Rotkäppchen, nachdem seine Oma vom Wolf gefressen wurde?
Es hat etwas sehr Schlimmes erlebt und kann nicht einfach frohgemut weiterleben wie zuvor. Wie es mit ihm weitergehen könnte, das erzählt dieses Bilderbuch.

Beurteilungstext

Claudia Gliemanns Konzept, schwierige Themen klug und gekonnt umzusetzen, hat mich bereits 2015 mit ihrem Bilderbuch „Papas Seele hat Schnupfen“ und den dazugehörigen Materialien beeindruckt. Da ging es um Eltern, die an einer Depression leiden.
In diesem neuen Bilderbuch beschäftigt sie sich mit der Frage nach psychischen Verletzungen/Beschädigungen und/oder Traumata, die durch das Mitansehen oder Erleben von Unerträglichem oder extrem Schmerzhaftem entstehen können und damit, wie diese überwunden werden können.
Da ist der große, starke Bär, der das verstörte Rotkäppchen vor seiner Höhle im Schnee liegend findet. Es erzählt davon, wie der listige Fuchs, mit dem es viele schöne Erlebnisse hatte, ihm schließlich aber seine schönen Locken abgeschwätzt hat, so dass es sich jetzt völlig entstellt und hässlich findet. Aber trotz der freundlichen Bitte des Bären nun mit ins Haus zu kommen, tut es das nicht.
Der Bär ist traurig, und (für den erwachsenen Leser ganz offensichtlich) ein exzellenter Therapeut. Er bringt Bretter und Werkzeuge, baut um Rotkäppchen ein schützendes Haus und ein warmes Bett, mit der „schönsten Gästebettwäsche“ versehen. Geduldig und über lange Zeit versorgt er es, bringt Essen und erzählt Geschichten, ohne ihm zu nahe zu kommen. Endlich kommt es raus, fast Vertrauen zu ihm und beginnt den Wald zu erkunden. Eines Tages entdeckt es dort ein verfallenes Haus, geht zögernd hinein und plötzlich ist die Erinnerung an die alte Frau und den Wolf wieder da! Erschüttert rennt es zum Bären zurück. Der Bär erklärt, es habe jetzt selbst und allein den Weg zum Haus gefunden und deshalb sei es an der Zeit, ihm den mit einem Tuch abgedeckten Korb aus dem Haus zu geben – so habe er es dem Jäger vor langer Zeit versprochen. Es vergeht wieder viel Zeit bis Rotkäppchen entscheidet das Tuch abzunehmen und zu sehen, was sich darunter im Korb verbirgt. Und jetzt erinnert es sich an Dinge, die es vergessen hatte. Wie ist das möglich, dass man so etwas Schlimmes vergisst? fragt es den Bären. Der antwortet: „ Doch Rotkäppchen, gerade weil es so schlimm war, musstest du es vergessen.“ Nun beginnt für es der nicht einfache Weg aus dem Trauma, der gekennzeichnet ist von tiefer Traurigkeit und vielem Weinen, sich verkriechen und Wutanfällen, bei denen jede Menge Porzellan kaputt geht. Dem behutsamen und geduldigen Therapeuten Bär bricht es fast das Herz, Rotkäppchen so zu sehen. Er ist immer da, bringt Taschentücher für die Tränen und neues Porzellan, damit „Rotkäppchen sich um seine Wunden“ kümmern kann. Er weiß, „Rotkäppchen muss das Loch in seinem Herzen alleine versorgen“. Und endlich nach vielen Monaten sprechen sie miteinander und der Bär zeigt ihm den Weg, den es alleine gehen muss, jeden Tag einen Schritt. Und dieser Weg ist nicht einfach, er ist manchmal gewunden, manchmal steil oder ist eine Sackgasse. Je mehr Rotkäppchen die Wege erprobt und immer wieder mit dem Bären spricht auf der Bank vor dem Haus, umso sicherer wird es und schließlich kann es sogar anderen helfen, die vorbeikommen: Wie z.B. Aschenputtel, das geknechtet wird von der bösen Stiefmutter und den Stiefschwestern oder Schneewittchen, das nur knapp dem Tod entronnen ist. Und dann wird es auch wieder ohne den Bären leben können, der ihm verdeutlich, dass es selbst diejenige ist, die es heilt und er nur ein Spiegel war. – Es ist geradezu unglaublich, wie treffend genau und für Kinder nachvollziehbar in Sprache und Story Gliemann diese Geschichte eines Traumas und einer Heilung erzählt.
Die fantastischen Bilder der estnischen Kinderbuchillustratorin Regina Lukk-Tompeere machen dieses Buch zudem zu einer künstlerischen Kostbarkeit: Das stimmige Farbkonzept der Künstlerin gibt den vielen Hell-Dunkel-Gegensätzen, den Licht und Schattenseiten eines Traumas und der Therapie ein überzeugendes und anschauliches Gesicht: Der Bär im Winterschlaf unter der weißen Schneedecke, mit hübsch gemusterten Kissen und einem lustigen Pyjama, dann das Rotkäppchen schwarz und grau, zusammengekauert im Schnee liegend, wie tot, helle Gelbtöne und ein wunderschöner Blütenkranz und Rotkäppchen mit einem wieder roten Käppchen draußen in der Sonne. Sehr beeindruckt haben mich in vielen Bildern die realistische und detailgenaue Zeichnung von Alltagsgegenständen, besonders die Zimmererwerkzeuge in der braunen Ledertasche des Bären: Die Handsäge, die Feile, verschiedene Bohrer, Messwerkzeuge, Schrauben und Nägel u.a.m.
Und fast schon genial zu nennen ist der Auftritt der Märchenfiguren, die von Lukk-Tompeere mit klarer Attribuierung, erkennbar und zarter Linienführung gezeichnet sind. Neben Aschenputtel und Schneewittchen sind da noch Hänsel und Gretel, Dornröschen, Rapunzel und Sterntaler.
Was den Bären als Therapeuten auszeichnet ist vor allem eine unendlich scheinende Geduld und Behutsamkeit. Diese Eigenschaften spiegeln sich in der Länge der mehrschichtigen und leise erzählten Geschichte und in den immer wieder sich wiederholenden Schleifen von „nach und nach“ – immer wieder vergeht Zeit, Monate oder sogar Jahre. Schließen möchte ich mit dem Kommentar von Prof. Dr. Silvia Denner (Vorstand des Kinderschutz-Zentrums Dortmund), abgedruckt im Buch: Kinder können auch schwierigste Erfahrungen bewältigen und wieder lernen zu vertrauen. Aber sie brauchen dazu liebevolle, geduldige und verstehende Bezugspersonen, die sie auf diesem Weg begleiten. Dieses Buch macht uns das deutlich.“

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von SRAn; Landesstelle: Hessen.
Veröffentlicht am 01.04.2021

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