Roter Schnee auf Thorsteinhalla

Autor*in
Leeuw, de
ISBN
978-3-8369-5310-8
Übersetzer*in
Erdorf, Rolf
Ori. Sprache
Niederländisch
Illustrator*in
Lieb, Claudia
Seitenanzahl
304
Verlag
Gerstenberg
Gattung
Ort
Hildesheim
Jahr
2010
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
16,95 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Hallgerd, Tochter eines Wikingerfürsten und einer irischen Prinzessin, lebt mit der verhassten Stiefmutter, deren Töchtern sowie ihrem Vater, seinen Kämpfern und dem Gesinde auf Thorsteinhalla an der norwegischen Küste. Da sie sich vor ihrer geplanten Verlobung mit dem jüngeren Magnus in die Wälder flüchtet, überlebt sie den Angriff des Fürsten Asmund, der Thorsteinhalla völlig zerstört. Sie schwört Rache und richtet ihr weiteres Leben in all ihren Handlungen und Entscheidungen darauf aus.

Beurteilungstext

Ein Zeitungsartikel, der am Ende des Romans abgedruckt ist, scheint Jan de Leeuw zu diesem Roman inspiriert zu haben. The Guardian berichtete 2005 über den Fund eines Wikingerschatzes durch Kinder im Garten eines Hauses in Tromso. Der 1200 Jahre alte Armreif mit Schlangenkopf, ein eigentümliches Medaillon, wie es heißt, und ein Ring in Form eines Wolfskopfes werden mit einer Geschichte umgeben und vom Autor geschickt in seine Fiktion eingewoben. Sie sind sowohl symbolisches Motiv als auch Motor der Handlung und werden immer wieder aufgenommen und in den verschiedenen Erzählsträngen zusammengeführt.
Erzähltechnisch ist der Roman durchaus anspruchsvoll und erfordert erfahrene Leser mit Abstraktionsvermögen. Denn jedes Kapitel wird zwar in Er-Erzählform, aber überwiegend aus der Sicht einer Person erzählt, die von Kapitel zu Kapitel wechselt, worauf die in der ersten Zeile einheitlich formulierten Kapitelüberschriften hinweisen: "Hallgerds Traum", "Magnus' Traum", usw. Im Zentrum der Blickrichtung dieser verschiedenen Perspektiven steht jedoch Hallgerd. Sie muss sich ihr Leben lang gegen die patriarchalischen Beschränkungen behaupten, indem sie sie mitunter mitleid- und rücksichtslos für ihre Rachepläne instrumentalisiert. Sie ist konfrontiert mit Vorurteilen wegen ihrer irischen Herkunft, wegen ihrer roten Haare und weißen Haut, wegen der Geschichten, die sich um ihre aus Wikingersicht unbezähmbaren, doch ungeheuer attraktiven Mutter ranken. Diese nahm sich das Leben, da sie es in Norwegen an der Seite des Wikingerjarls Thorstein nicht mehr ertrug und sich in diese Unfreiheit nicht einfügen wollte. Psychologisch genau entwickelt der Autor daraus und aus dem Trauma der Zerstörung der Thorsteinhallas den Charakter Hellgards, doch bleibt während der Lektüre eine merkwürdige Distanz zwischen Leser und Hauptfigur bestehen. Vielleicht liegt dies an der erwähnten mehrperspektivischen Erzählweise. So wird einerseits jegliche Schwarz-Weiß-Malerei vermieden, was immer erstmal gut ist. Dem Leser wird es andererseits aber nicht leicht gemacht, sich ein endgültiges Bild von Hallgerds Persönlichkeit zu machen und sich ein Urteil über sie zu bilden. Hallgerds Fähigkeit zu grausamer Rache, die Ausschließlichkeit dieses Lebensziels können befremden. Möglicherweise trägt aber auch die insgesamt ausgesprochen düstere Atmosphäre des Romans dazu bei. Diese erfasst sicherlich historisch genau und lebendig Denk- und Handlungsweisen im Norwegen des 9. Jahrhunderts. Exakt beschreibt der Autor eine Welt, in der in der winterlichen Enge der Hallen Neid, Intrigen, Hass und Konkurrenz unter den Jarls gedeihen. Der Hallenfürst übt seine patriarchalische Macht aus. Es ist außerdem eine Zeit des Umbruchs, in der sich die Selbstständigkeit der Jarls und die Durchsetzung einer zentralen Königsherrschaft gegenüberstehen. Weiterhin trifft die germanische Götterwelt mit ihren Mythen, die ein Abbild der Werte in den Hallen sind, auf das Christentum. Die alte irische Sklavin, als Kriegsgefangene nach Norwegen mitgenommen, verkörpert diese Christen. Aber auch dieser Glaube wird, durchaus historisch plausibel, in seiner Lustfeindlichkeit, und in seiner Angst vor einem strafenden Gott und dem Teufel sehr negativ gezeichnet.

Ein Gegengewicht zu dieser düsteren Atmosphäre in archaischer Welt entsteht durch die ausgesprochen poetische Sprache aus sehr gelungenen, wunderbar verdichteten Bildern. Hingegen fordert das abrupte Ende kurz vor Vollendung von Hellgards Rache den Leser wieder heraus. Ein solch offenes Ende braucht sehr reife Leser.

So ist dieser historische Roman aus der Wikingerzeit über eine junge Frau, die sich die Emanzipation auf ihre Art erkämpft, für kompetente Leser ab 14 Jahren empfehlenswert, die neugierig auf die Mentalität dieser Zeit sind und eine innere Widerständigkeit gegenüber dem Sog des Düsteren mitbringen. Auch ein Einsatz im Unterricht ist denkbar wegen der geschichtlich interessanten Zeit und wegen der Erzähltechnik, Sprache sowie Psychologie.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von KH.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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