Opfer. Lasst uns hier raus!

Autor*in
Wung-Sung, Jesper
ISBN
978-3-446-25092-5
Übersetzer*in
Buchinger, Friederike
Ori. Sprache
Dänisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
144
Verlag
Hanser
Gattung
Ort
München
Jahr
2016
Lesealter
14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
13,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

„Wir haben in einer Lügenwelt gelebt! Wir haben falsch gelebt! […] Gemeinschaft und Menschlichkeit – das alles haben die Erwachsenen uns eingeredet.“ (95) Passagen dieser Art sind es, die zu der programmatischen Ausrichtung auf dem Klappentext geführt haben und einen Debattenroman ankündigen. Ob „Opfer“ tatsächlich diese Erwartungen erfüllen kann, sei dahin gestellt. Die Lektüre lohnt sich aber in jedem Fall.

Beurteilungstext

Jesper Wung-Sung gehört zu den meist gelesenen Autoren an dänischen Schulen. Seine Werke sind mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet und mit „Opfer“ liegt ein weiterer Roman mit Preis-Potential vor.
Eines sollte man zu Beginn gleich klarstellen: „Opfer“ ist ein parabelhafter Roman und kein realistisches Jugendbuch. Dementsprechend darf man nicht danach gucken, ob alles so oder so ähnlich auch tatsächlich möglich ist, kurz, ob der Roman authentisch ist. Ist er nämlich nicht. Aber: Der Roman setzt eine Bedeutung ins Bild und konstruiert dazu Orte, Figuren und Situationen. Und dies gelingt Wung-Sung wirklich meisterhaft.
Schon die klimatische Ausgangssituation ist bedeutungsvoll gestaltet: Ein Jahrhundert-Sommer der völligen Überhitzung. Alles erscheint in Zeitlupen-Stimmung, so als ob die Wirklichkeit nicht nachkäme – Ausnahmezustand. Und dann wird eine Schule kurzerhand eingezäunt und Lehrer und Schüler werden von der Außenwelt abgeschlossen. Ziel der Maßnahme ist es, so kann man als Leser begründet vermuten, eine grassierende Grippeepidemie, die immer tödlich endet, aufzuhalten.
Versuchen anfangs noch alle, den Alltag aufrechtzuerhalten, machen sich Panik und Hoffnungslosigkeit zunehmend breit, als die Grippe mehr und mehr Opfer fordert. Außerdem: Eine Drohne kreist am Himmel über der Schule und jeder, der dem Zaun zu nahe kommt, wird gnadenlos von ihr abgeschossen. Außerhalb des Zaunes scheint sich niemand mehr für die Schule zu interessieren: Die Schule wird einfach aufgegeben und das spüren auch die Eingesperrten. Sie werden einfach sich selbst überlassen und dem bevorstehenden Tod ausgeliefert.
Wung-Sung portraitiert treffend die unterschiedlichen Umgangsweisen mit der Extremsituation, zeichnet die Dynamik der Gruppe nach und findet sogar noch Raum für die Nöte einzelner Charaktere. Im Zentrum aber des konzentriert und fokussiert erzählten Romans steht die anklagende Frage nach der Menschlichkeit und dem Wert, der einem Menschenleben beigemessen wird. Und diese Frage, so stellt Andrea Lüthi der NZZ richtig fest, steht für die Frage nach der Gleichgültigkeit in unserer Gesellschaft.
Überzeugend ist ferner die sprachliche Dichte und stellenweise poetische Sprachverwendung, die entschieden dazu beiträgt, dass der Roman die Klarheit besitzt, die es braucht, um die eigentlich gemeinte Zweitbedeutung erkennen zu können. Gemeint ist die ins Bild gesetzte Bedeutung bzw. Frage hinter den Handlungen und Handlungszusammenhängen und den Figuren. So bspw. die Frage, welchen Wert Regeln und Gesetzte der Menschlichkeit im Angesicht des unausweichlichen Todes noch besitzen.
Weil Jesper Wung-Sung es versteht, mit der Informationsvergabe geschickt umzugehen, erfährt man auch als Leser nicht, was eigentlich genau hinter der Abriegelung der Schule steht. Durch die personale Erzählsituation mit interner Fokalisierung der Figur Benjamin weiß man nie mehr als diese. Dadurch ist man als Leser so gesehen auch innerhalb des Drahtzauns – eine unheimliche (Lese)Atmosphäre.
All das gelingt dem Autor in „Opfer“ sehr gut und trotzdem ist Magdalena Hamm von der „ZEIT“ zuzustimmen, wenn sie vermutet, dass der Roman keine Debatte auslösen wird. Dazu sind die Fragen, die er stellt nicht neu und die Radikalität des Erzählten nicht extrem genug. Sei es drum! Eines aber ist klar: Der Roman entfaltet eine starke Wirkung, die im Literaturunterricht genutzt werden kann, um zu erfahren, wie Literatur mit zeitdiagnostischer Qualität eine Reflexion des eigenen Lebens anzuregen vermag.
(AJuM Hamburg, Jochen Heins)

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von jhe; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 01.07.2016

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