Nusret und die Kuh

Autor*in
Tuckermann, Anja
ISBN
978-3-86429-302-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
40
Verlag
Tulipan
Gattung
BilderbuchSachliteratur
Ort
München
Jahr
2016
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
18,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Nusret lebt mit Großeltern, vielen Tieren und einer Kuh, seiner engsten und liebsten Vertrauten in einem winzigen Dorf im Kosovo. Seine Eltern sind mit den größeren Geschwistern im fernen Deutschland und regelmäßig kommen Briefe von dort. Bald soll auch er kommen, um Lesen und Schreiben zu lernen und seine Sehnsucht nach der Familie zu stillen.

Beurteilungstext

Wunderschön, fast idylllisch geht es zu bei Nusret und seinen Großeltern. Der kleine Junge fühlt sich dort glücklich und geborgen. Er spielt mit den Tieren und hilft Oma und Opa bei der Arbeit: Der Krieg, der die Eltern zur Flucht nach Deutschland gezwungen hat, ist Vergangenheit, aber doch in einem düsteren Bild mit verdorrten Pflanzen und Soldaten zugleich noch präsent. Wichtig sind die Tage, an denen der Postbote kommt mit einem Brief von den Eltern. Da weder die Großeltern noch Nusret lesen können, wird beim gemütlichen Kaffeetrinken auf der Bank vor dem Haus vom Briefträger die Post vorgelesen, in dem zuletzt davon die Rede ist, ob Nusret und die Großeltern nicht auch nach Deutschland kommen wollen. Tuckermann schickt Nusret dann auf eine imaginäre Reise mit seiner Kuh den weiten Weg nach Deutschland. Dort gewöhnen sie sich schnell ein, beide lernen lesen und schreiben und Nusret hat neue Freunde gewonnen. So geht es hin und her zwischen den Großeltern und der Kuh einerseits und dem Rest der Familie andererseits. Glücklicherweise können sie sich schreiben und bleiben sich so doch nah.
Tuckermanns berührende Geschichte ermöglicht einen sensiblen, ernsthaften und ungewöhnlichen Blick auf das Thema Flucht, geht es doch hier vor allem um die positive Gestaltung der Zukunft einer Familie, weniger um gefährliche Fluchtwege oder die Probleme der Ankunft in Deutschland. Auf einfache und eindringliche Weise lässt die Autorin ihre Figuren über das (klassische) Briefeschreiben im Kontakt bleiben - was in Zeiten des Internets und Smartphones wunderbar altmodisch und zugleich überraschend intensiv die Beziehungen der Familienmitglieder zeigt.
"Das Leben hat immer eine Überraschung in der Tasche" sagt Merdad Zaeri im Interview mit Ute Wegmann vom Deutschlandfunk. Nicht nur das Leben, sondern auch diese farbenfrohen, mit scherenschnittartigen kleinen Zeichnungen versehenen auf plakativem Hintergrund in starken Farben gemalten und kolorierten Collagen und Bilder zu Anja Tuckermanns feinsinniger Erzählung von Heimat und Flucht halten nicht wenig überraschendes bereit. Sie sind in enger und gleichberechtigter Zusammenarbeit mit der künstlerischen Gefährtin Zaeris, Uli Krappen entstanden. Wie genau, erfährt man am Ende dieses Bilderbuchs, in einem Einblick in die Werkstatt der Künstler: "Wir haben eine Stoppuhr und jeder von uns hat zwei Minuten für seine Zeichnung. ... Die Erzählung ist unser Rahmen, die kennen wir sehr gut. ..." Da sie sich sehr gut kennen, darf der jeweils andere im Interesse der Dynamik und des Spiels alles übermalen und sogar zerstören: "Damit das Spiel an Fahrt gewinnt." Das tut es in den wilden und skurrilen Bildern der beiden, die in ihrer Dynamik selbst in den eher stilleren Moment der Erzählung - beispielsweise Nusret in stiller Zwietracht und Gespräch mit seiner Kuh - einfach mitreißen. Augenzwinkernd und vielfältig arbeiten die beiden verschiedene Schriften, typografische Elemente und Textfetzen in die so auch wörtlich sprechenden Bilder ein: Vignetten im Vor- und Nachsatzpapier zeigen kleine Bleistiftzeichnungen mit handschriftlichen Untertiteln wie "Großeltern Bett", "Nusret lernt" "Eltern am deutschen Fenster". Oder die Litfasssäule mit dem Hinweis auf ein ausgefallenes Konzert von Boy George und der Ankündigung einer Lesung mit Anja Tuckermann.
Es ist wirklich große Kunst, wie die beiden Illustratoren den Text in seinen Nuancen neu akzentuiert und mit ganz eigenen Perspektiven erzählen: Zum Beispiel Nusrets Reise durch den Wechsel vom kräftigen GRÜN zuhause bei den Großeltern hin zum aquarelligen BLAU im durch viele Straßen und Häuser gekennzeichneten Deutschland mit überdimensionierten Parkuhren, Ampeln, Baustellen.
Fazit: Ein zeitloses Bilderbuch zu einem wichtigen Thema, das man immer wieder anschauen und lesen kann und jedes Mal etwas Neues entdeckt!

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Diese Rezension wurde verfasst von ASR.
Veröffentlicht am 01.04.2017

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