Nur JA ! heißt ja, Eine Anleitung zu sexuellem Konsens

Autor*in
Machlus, Shaina Joy
ISBN
978-3-944666-84-6
Übersetzer*in
Theodor, Jennifer Sophia
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Mantwill, JaniceMichael, Marie
Seitenanzahl
255
Verlag
Orlanda
Gattung
SachliteraturTaschenbuch
Ort
Berlin
Jahr
2021
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFachliteratur
Preis
19,50 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die Autorin schreibt in ihrem gut recherchierten Sachbuch offen und verständlich über viele Formen von Sexualität, deren Erleben in der Verantwortung der Beteiligten liegen soll. Welche Lebens- und Liebesformen zulässig sind, entscheidet ein vorher eingeholter Konsens. Der eigene essayistische Stil gibt dem Inhalt romanhafte Formen. Diese Art zu schreiben ermuntert zur offenen Kommunikation ohne Tabus, ebenso wie zur Analyse von Beziehungen und möglichen Entwürfen sexueller Zufriedenheit.

Beurteilungstext

“Yes ist the sexiest word“, so lautet der Titel in der Originalausgabe und er bringt in diesem kurzen Statement schon die gesamte intendierte Aussage des Buches zum Ausdruck. Warum konnte er nicht wortgenau übersetzt oder übernommen werden?
Mit der Übersetzung, die vermutlich nicht die Autorin zu verantworten hat, tut man dem wunderbar geschriebenen Sachbuch und seinem Anliegen keinen Gefallen. Der erste Teil „Nur JA! heißt ja“ ist viel zu sehr von der juristischen und politischen Diskussion vorbelastet. Im Untertitel „Eine Anleitung zu sexuellem Konsens“ stecken zu viele Assoziationen von Ratgebersprache, Besserwisserei, oder Vorgabe einer bereits definierten Richtung. Dass Shaina Joy Machlus auch Anleitungen und Vorschläge (Plural) gibt, spricht der Kritik der deutschen Übersetzung nicht entgegen. Auch nicht, dass die Autorin immer ein offenes, freudiges Zustimmen zu jedweder sexuellen Annäherung meint, kann vielleicht nach der Lektüre anders konnotiert werden. Doch um das Buch mit seinen Vorschlägen und dem Wunsch, Übereinkunft herzustellen und Leid zu beenden, breiter anzubieten, erscheint der Rezensentin der deutsche Titel kontraproduktiv.
Auch die Covergestaltung erschließt sich ihr künstlerisch nicht. Die orange-rote Spur mit etwas violett, die kein impliziertes Zeichen erkennen lässt, keinen Buchstaben, kein verschlüsselt gestaltetes Objekt, mutet wie eine Blutspur an. Ein luftiges Tuch in diesen Farben kann es so nicht sein, hätte aber vielleicht gut passen können. Über diese unklare, unsaubere Spur, sind in schwarz skizziert die Umrisse zweier rechter Hände gelegt. Sie scheinen sich noch aufeinander zuzubewegen. Es gibt drei unklare Sprenkel.
Warum so viel Kritik zu Cover und Titel?
Die Autorin wünscht sich - aus gutem Grund - ausdrücklich viele Menschen aller Altersgruppen, jedweder sexueller Orientierung, jeglicher Vorerfahrung und in allen nur denkbaren sozialen Bezügen, die zu diesem Buch greifen sollen. Sie wünscht es sich als Begleiter und Grund für Gesprächsanlässe oder Anregung für gelingende sexuelle Begegnungen.
Sie schreibt in einer erfrischend unprätentiösen Sprache, obschon sie Expertenwissen einbringt, häufig zitiert und reflektiert.
Beim Lesen entsteht ein Gefühl, als habe sie eine eigene Sprache für die „sexiest words“ gerade erschaffen. Sie schreibt wohlwollend und wertfrei im besten Sinne, denn sie bewertet nicht und Nichts, was Menschen miteinander und füreinander tun, wenn Konsens besteht, sich körperlich zu begegnen.
Sie ist dabei frei von Forderungen, Vorgaben, Überlieferungen, wenn ein „ja“ vorausgegangen ist. Sie benennt dennoch Übergriffe, denn die sind der Anlass, warum ein solches Buch notwendig ist. Sie verurteilt alle Handlungen, die nicht auf Augenhöhe geschehen sind, die Unterdrückung und Machtmissbrauch beinhalten und seien sie noch so subtil. Mut macht sie zum Versuchen, Erproben, Sprechen, Erklären, Wünschen.
Kommunikative Werte stehen im Mittelpunkt des Buches. Hier stellt sie dann auch klare Forderungen, die in Philosophie, Pädagogik und Sprachwissenschaft vor vielen Jahren als „kommunikative Ethik“ bezeichnet wurden. Hierzu gibt sie konkrete Anleitungen und Vorschläge für Situationen der Unsicherheit, die anwendbar sein können. Durch Verbreitung und Nutzung dieser Formen des miteinander Umgehens, hofft sie auf nichts weniger als auf eine Veränderung der Gesellschaft, der Privilegien, nicht nur in Bezug auf Sexualität.
S.J. Machlus hat ein Gespür für Wesentliches. Sie betreibt eine umfassende Sachanalyse. Ihre Argumente und Beispiele sind immer knapp, doch nachvollziehbar formuliert und zeigen auf unaufdringliche Weise einen liebevollen Umgang miteinander und mit den sozialen Bedingtheiten.
Die Autorin legt einen wissenschaftlichen Text vor, der leicht lesbar ist, ohne zu vereinfachen. Es geht immer um sexuellen Konsens und Selbstfindung, sowie Vermeidung jeglicher Gewalt und übergriffe. Er kann von unterschiedlichen Altersgruppen gelesen werden und als Diskussionsgrundlage verwendet werden.
Er veranlasst sicher auch zum Austausch von Erfahrungen zwischen unterschiedlichen Generationen mit ihren jeweiligen biografischen und sozialen Hintergründen.
Dass der hehre Zweck bald erreicht werden könnte, bleibt hier jedoch fraglich: Ebenso, wie tägliche Kommunikation für Verständigung geprobt und erlernt werden muss, muss erst recht eine solche,ja immer sehr intime Verständigung geübt werden. Da reichen sicher nicht die durchaus sinnvollen Frage-, Verhaltens- und Redeangebote aus. Biografische und psychische Barrieren z.B., sind nicht einfach zu überwinden. Machlus‘ Ziel bleibt dennoch erstrebenswert und ist ein wichtiger Zugang zum Umgang auf Augenhöhe, denn ihre Aussagen sind lebens- und sexualitäsbejaend.
Der Band ist ein Fundus für Hintergrundwissen (im Anhang mit Literaturangaben für die Zitate, ein Glossar zu sexuellen Begrifflichkeiten, Hilfsangebote im Notfall.)

Das Sachbuch enthält nach einer ausführlichen Einleitung folgende Kapiteleinteilungen:
- Geschlecht, Sex, Körper – Grundlagen
- Anleitung zu sexuellem Konsens
- Konsens im Alltag
- Gesprächsbeispiele
Die Gestaltungen nehmen das Thema der beiden skizzierten Hände des Covers auf und erweitern es. Im Buch finden sich – den Text unterbrechend und illustrierend – erneut viele schwarz gerahmte Hand-Skizzen.
Die Zusammenhänge als Zeichen oder Ikonen erschließen sich nur manchmal. Sie irritieren sogar und unterbrechen den Lesefluss zum Innehalten. Ist dies das Ziel?
Es gibt wenige, auch ganzseitige Zeichnungen und zusätzlich einige freigehaltene Seiten für eigene Notizen.

Es ist ein wertvolles und lesenswertes Buch zum Weiterempfehlen (trotz der Irritationen wegen der Zeichnungen und des Covers).

Anmerkung

Sozialkunde; Sexualkunde; Projekte zur Verständigung; Deutsch und Philosophie: Kommunikative Ethik

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von stoni; Landesstelle: Nordrhein-Westfalen.
Veröffentlicht am 07.07.2022