Nur fast am Boden zerstört

Autor*in
Gonzalez, Sophie
ISBN
978-3-570-16608-6
Übersetzer*in
Attwood, Doris
Ori. Sprache
Amerikanisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
336
Verlag
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
München
Jahr
2021
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
15,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

»Es war später Nachmittag, als mir klar wurde, dass Disney mir mit seinem "Glücklich bis ans Lebensende" schon seit Ewigkeiten Lügen auftischte." Mit diesen Worten beginnt Olli seine Geschichte und bezieht sich dabei auf seine aktuelle Situation, die ihn echt fertig macht. Denn Olli ist immer noch in Will verliebt. Den Will, mit dem er in den Sommerferien herrliche Tage am See verbracht und der versprochen hat, auf jeden Fall den Kontakt zu halten. Und der sich seitdem nie wieder gemeldet hat.

Beurteilungstext

Als Olli erfährt, dass er und seine Eltern vorerst nicht zurück nach Kalifornien gehen, sondern in North Carolina bleiben werden, wo sie sich um die krebskranke Schwester seiner Mutter und deren Familie kümmern, macht es das Ganze auch nicht besser. Anstatt das Abschlussjahr in gewohntem Umfeld zu verbringen, muss Ollie in eine neue Schule. Und wer geht jetzt zufällig auch auf diese Schule?! Olli kann es nicht fassen: Will! Will, der sich noch nicht als schwul geoutet hat und in der Öffentlichkeit alles daran setzt, sein Machoimage zu behalten.
Mit „Nur fast am Boden zerstört“ legt die australische Psychologin Sophie Gonzales ihren ersten Roman im Young Adult-Bereich vor, der auf ganzer Ebene überzeugt. Der Roman verhandelt in gekonnt miteinander verwobenen Handlungssträngen und Zeitebenen die schwierige Suche nach der eigenen Identität und die noch immer fehlende Selbstverständlichkeit gleichgeschlechtlicher Liebe. Ein ernstes Thema, dass die Autorin originell und witzig verpackt; mit einem Hauch von Slapstickhumor und einem Ich-Erzähler, der ebenso offen wie selbstkritisch und mit einer Prise Ironie von diesem besonderen Schuljahr erzählt. Und so folgen wir Olli gespannt auf 336 Seiten durch diesen Lebensabschnitt, mal amüsiert schmunzelnd, mal nachdenklich, mal geschockt ob eines blöden und unreflektierten Kommentars, mit denen sich Olli immer wieder konfrontiert sieht:
»Ich würde gerne behaupten, dass ich das, nachdem ich mich vor Jahren geoutet hatte und mit mir im Reinen war, zusammen mit jeglicher Homophobie und dem ganzen anderen Mist einfach so abschütteln konnte. Aber es tat weh. Es tat immer zumindest ein kleines bisschen weh, zu wissen, dass die Leute alles andere als schmeichelhaft über einen redeten. Und dass ich noch so neu an der Schule war und sie sich trotzdem schon eine Meinung über mich gebildet hatten?« (S. 91f )
Freundschaft, Liebe und Coming Out aber auch Zweifel, Trauer und Tod: „Nur fast am Boden zerstört“ ist hier immer authentisch und bietet ganz vielfältige Identifikationspotentiale für seine jugendliche Zielgruppe (der Verlag empfiehlt den Roman ab 14 Jahren), in deren Lebenswelt die Themen des Romans eine essentielle Rolle spielen. Schön ist dabei vor allem, dass auch die Nebencharaktere von Autorin Sophie Gonzales ernst genommen werden. Schnell schließen wir die Mädels in unser Herz, die Olli an der neuen Schule unter ihre Fittiche nehmen und zu Freundinnen werden. Auch sie haben ihr Päckchen zu tragen: Juliettes Eltern verstehen ihren Wunsch, Musikerin zu werden, überhaupt nicht. Lara ist irgendwie in eine Mitschülerin verliebt, aber irgendwie auch nicht. Niamh kämpft mit ihrem Gewicht. Alle sind dabei ein wichtiger Teil der Handlung, und nicht einfach nur Statisten in Ollis und Wills Geschichte.
Der Roman erschien im Sommer 2021 passend zu den weltweit initiierten Pride Months und hat in dem Zusammenhang viel Aufmerksamkeit und Lob erhalten. Von der Cosmopolitan und dem amerikanischen Nachrichtenportal BuzzFeed zu einem der aktuell besten LGBTQ-Bücher gekürt, überzeugt er auch in der deutschen Übersetzung (großes Lob an Übersetzerin Doris Attwood) mit seinem lockeren und humorvollen Schreibstil, der wirklich Spaß macht beim Lesen. Und am Ende nehmen wir nicht nur eine, sondern gleich so einige wichtige Botschaften mit: Das Leben ist eine Entwicklung, auf die wir selbst Einfluss nehmen können. Wir dürfen Fehler machen. Es ist richtig, für sich und andere einzustehen. Jeder Mensch ist wertvoll.

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Diese Rezension wurde verfasst von SJ; Landesstelle: Thüringen.
Veröffentlicht am 22.12.2021