nICHt genug
- Autor*in
- Scrivan, Maria
- ISBN
- 978-3-7432-1045-5
- Übersetzer*in
- Fricke, Harriet
- Ori. Sprache
- –
- Illustrator*in
- Scrivan, Maria
- Seitenanzahl
- 240
- Ort
- Bindlach
- Jahr
- 2022
- Lesealter
- 10-11 Jahre
- Einsatzmöglichkeiten
- Bücherei
- Preis
- 15,00 €
- Bewertung
Schlagwörter
Teaser
Die frisch gebackene Junior-Highschool-Schülerin Natalie fühlt sich ungenügend, „nicht genug“: nicht sportlich genug, nicht hübsch genug, vor allem nicht cool genug. Und dann lässt ihre ehemals beste Freundin Lily sie auch noch direkt am ersten Tag in der neuen Schule links liegen, um lieber mit den angesagten Kids abzuhängen... Wie wird Natalie damit zurechtkommen?
Beurteilungstext
Natalie, die ungefähr elfjährige Ich-Erzählerin dieses Comics, muss am ersten Tag nach den Sommerferien an der neuen Highschool mit der abrupten Distanzierung ihrer besten Freundin Lily zurechtkommen. Diese lässt sie nämlich demonstrativ links liegen und wendet sich stattdessen neuen, vermeintlich angesagteren und cooleren Freundinnen zu. Natalie leidet sehr unter der Zurückweisung, oder, wie sie selbst sagt: „Ohne beste Freundin könnte ich mich auch gleich von Aliens entführen lassen.“ Sie überlegt fieberhaft, wie sie Lily zurückgewinnen kann, obwohl Lilys Verhalten sogar unvermittelt in manifestes Mobbing übergeht: Z. B. findet Natalie fiese Botschaften an ihrem Spind („Nat ist ein Nerd“) oder einen erbarmungslosen Abschiedsbrief („In der neuen Schule will ich mit coolen Kids abhängen und du gehörst nicht dazu. Wenn du mir jeden Tag ein Geschenk gibst, könnte ich es mir überlegen. Aber eher nicht.“)
Doch schnell findet Natalie neue Freundinnen, die sie unterstützen und emanzipiert sich so immer stärker von der problematischen Lily, indem sie lernt, sich selbst zu vertrauen und vor allem ihre individuellen Interessen und Stärken – z. B. das Comiczeichnen – wichtiger zu nehmen als die aus unzähligen Highschoolfilmen bekannten Coolness-Kategorien wie Angesagtsein und Schönsein für die schulinterne Hackordnung. Ihre neue Freundin, die freakige Flo, bringt es auf den Punkt: „Sei einfach du selbst, statt jemand anderes sein zu wollen!“ Als Natalie am Ende dann noch den Comiczeichenwettbewerb gewinnt und sich glücklich verliebt, werden die Leser*innen mit ihr in das perfekte Happy End entlassen.
Maria Scrivans Comic macht auf den ersten Blick erstmal gute Laune, was sicher an den altersgerechten, humorvollen Dialogen in eingängiger, dabei nicht aufdringlicher Jugendsprache liegt und an den zugänglichen und vielfarbigen Zeichnungen. Vor allem aber auch an vielen witzigen Details in den Bildern, wie z. B. den heimlichen Nebenfiguren Hund und Katze oder verspielten Einfällen, wie z. B. dem, die besten Freundinnen mit entsprechender Zeichnung als „zwei Erbsen in einer Schote“ darzustellen. Die Hauptfigur und Ich-Erzählerin Nat ist vom ersten Panel an eine umwerfend sympathische Identifikationsfigur. Um das zu erreichen, nutzt Scrivan den gelungenen Kniff, sie auch direkt selbst zur Zeichnerin ihrer eigenen Geschichte zu machen, also ein Comic im Comic zu verpacken.
Und selbstverständlich ist und bleibt das Thema „Freundschaft“ und „Anerkennung durch die Peer Group“ ein Dauerbrenner für die Zielgruppe der 10-13-Jährigen und hat aufgrund seiner entwicklungspsychologischen Relevanz ja auch absolut seine Berechtigung. Insofern ist es auch eine konsequente Entscheidung, Schule und Peer Group als entscheidende Sozialisationsinstanz zum alleinigen Schauplatz der Geschichte zu machen.
ABER leider verpasst Scrivans Comic mehrfach die Chance, inhaltlich in die Tiefe zu gehen: Etwa, wenn das neue, große Haus der ehemals besten Freundin nur auf einem einzigen Panel den virulenten Klassenunterschied zwischen den Mädchen andeutet. Oder wenn die eindimensionale Darstellung von Lilys Fiesheit von Anfang an die Richtung vorgibt für Natalies Emanzipation: Etwas Besseres als diese Freundin findet sie überall!
In diesem Sinne ist ein derart simpel verstandenes Empowerment (Zitat Klappentext: „Ein starkes Mädchen auf dem Weg zu sich selbst“) auf jeden Fall das grundlegende Problem des Comics. Scrivans „nICHt genug“ bietet in keinerlei Hinsicht auch nur die geringste Herausforderung für junge Leser*innen, weder sprachlich noch bildlich noch inhaltlich. Die Charaktere sind flach, nach einem simplen Gut-Böse-Schema gestaltet, die Handlung ist chronologisch und einsträngig erzählt. Bis auf den Grundkonflikt mit Ex-Grundschulfreundin Lily gibt es keine weiteren Konflikte oder auch nur Nuancen der Geschichte, und das ist bei einem Comic von immerhin 240 Seiten eindeutig zu dünn. Wenn aus dieser Grundanlage dann auch noch zwangsläufig ärgerliche und sattsam bekannte Klischees folgen, also z. B. die kluge Hauptfigur Nat wieder die obligatorische Brille als Attribut für ihre Intelligenz auf der Nase hat, und die angesagte Freundin Lily langes, blondes Haar, dann ist das mindestens einfallslos. Der quietschpinke Einband tut noch sein übriges, um allen Beteiligten des Buchmarktes diese Art der simplen feel-good-Mädchenliteratur zu signalisieren.
Demzufolge ist dieser Comic bestenfalls ein harmlos-freundliches Buch mit zeichnerisch begründetem Unterhaltungswert, mehr aber leider nicht.