Nachrichten von Micah

Autor*in
McGhee, Alison
ISBN
978-3-423-65037-3
Übersetzer*in
Kollmann, Birgit
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
256
Verlag
dtv
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
München
Jahr
2022
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
15,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Micah Stone und seine Eltern sind plötzlich aus Minneapolis verschwunden. Die Polizei, bei der Micahs Freundin Sesame eine Vermisstenanzeige aufgibt, geht jedoch davon aus, dass sich die Familie lediglich im Urlaub befindet, doch Sesame ist sich sicher, dass die kleine sektiererische Gruppe Lebendes Licht und ihr radikaler Prophet mit den Stones ihr unbekanntes ‚Einkehrzentrum‘ aufgesucht haben. Sesame muss Micah unbedingt finden und aus seiner inzwischen lebensgefährlichen Lage befreien.

Beurteilungstext

Mit „Nachrichten von Micah“ hat die amerikanische Bestsellerautorin Alison McGhee eine bittersüße Lovestory, eine Geschichte von Freundschaft, Vertrauen und Liebe, aber auch von Unterdrückung und Manipulation vorgelegt. Im Mittelpunkt stehen die 18-jährige Waise Sesame und ihr 17-jähriger Freund Micah. Sesame wurde als Kind von einer älteren Frau adoptiert, die sie anderen gegenüber als ihre Oma bezeichnet. Seit deren Tod vor zwei Jahren lebt Sesame unbemerkt von ihrer Umgebung in Minneapolis in einer Hinterhofgarage, über die allein ihr Freund Micah Bescheid weiß. Anderen erzählt sie lediglich erfundene Geschichten über ihre Lebenssituation, denn die Oma hat Sesame immer wieder ermahnt, niemals zu viel von sich preiszugeben und niemanden um Hilfe zu bitten.
Aber Hilfe braucht sie dringend, als Micah plötzlich verschwindet. Dessen Eltern sind in die Fänge eines dubiosen Propheten geraten, der mit Hilfe seines skrupellosen Akoluthen Deeson die kleine, fundamentalistisch-pseudoreligiöse Gruppe Lebendes Licht in ein geheimes Zentrum, den Südkomplex, führt, um dort „neues Denken“ einzuüben und das „säkulare Leben hinter sich zu lassen“. Micah will seine Eltern, die die Konsequenzen ihrer Entscheidung offensichtlich nicht realisieren, nicht allein lassen, doch jetzt gerät er selbst zunehmend in höchste Lebensgefahr, weil er den Propheten kritisiert (für ihn ist es nur noch der „prft“), was prompt mit Nahrungsentzug, Zwangsarbeit und Psychofolter geahndet wird. Nur die Hoffnung, dass Sesame ihn rechtzeitig findet, hält ihn aufrecht. Diese hat längst die Polizei alarmiert, doch die kann nicht auf bloßen Verdacht hin ermitteln. Sesames Freunde helfen ihr tatkräftig bei der verzweifelten Suche, doch wochenlang ohne Erfolg…
Diese spannende Rahmenhandlung nutzt die Autorin für ein breit angelegtes Psychogramm der beiden jungen Protagonisten, die kapitelweise im Wechsel ihre Gedanken und Erlebnisse aus der jeweiligen Ich-Perspektive schildern. Sesame versucht, ihre Probleme allein zu bewältigen – getreu dem oft wiederholten Rat ihrer Oma, stets vorsichtig zu sein und niemals anderen zu vertrauen -, merkt aber, dass sie damit schnell an ihre Grenzen kommt. In ihren sprachlich oft ausgesprochen emotionalen Rückblicken erfährt der Leser vieles über ihr inniges Verhältnis zu Micah, aber auch über ihre häufige Einsamkeit. Manches erscheint indes einigermaßen überzogen, wirkt allzu rührselig und süßlich, was gewiss auch auf eine direkte Übersetzung aus der ohnehin leicht zu Übertreibung neigenden amerikanischen Redeweise zurückzuführen sein dürfte. Die geschilderte Empfindsamkeit passt allerdings gut zu Sesame und Micah, die beide ein Faible für Lyrik haben: So hat Sesame beispielsweise in der Stadt sogenannte Lyrikboxen als eine Art Briefkästen für Gedichte eingerichtet, an denen sich jeder gratis bedienen kann. Das Schreiben von Gedichten ist für sie eine Form der Selbsttherapie.
Vereinzelte Typotaphern unterstreichen die Gemütszustände der Protagonisten, etwa inneres Aufgebrachtsein durch ein stark vergrößertes Schriftbild. Zudem wird Sesames verzweifelte Hoffnung, dass sie Micah doch noch lebend finden wird, verdeutlicht als häufig zunächst in der Imperfektform durchgestrichene, nachfolgend quasi richtiggestellt ins Präsenz gesetzte Verben, wenn sie von ihm erzählt.
Recht genau werden im Buch die Mechanismen erläutert, wie es dem selbsternannten Propheten und angeblichen Heilsbringer durch geschickte Manipulation und eine Art Gehirnwäsche gelingt, mit pseudoreligiösen Argumenten und abstrusen Ideen andere Menschen zu seinen willfährigen Anhängern zu machen. Dass Derartiges in vergleichbarer Weise auch in Deutschland möglich wäre, ist sicher denkbar, auch wenn manche gesellschaftliche Strukturen hierzulande anders sein mögen. Dennoch können die Ausführungen hilfreich sein für eine kritische Hinterfragung bei ähnlichen Fällen. Es ist offensichtlich ein Anliegen der Autorin, dass solche Vorgänge, die zumeist nach einem typischen Muster ablaufen, für Betroffene bereits im Entstehungsstadium eher durchschaubar werden.
Gerade auch aus diesem Grunde ist das Buch empfehlenswert zur Diskussion mit Heranwachsenden ab etwa 14 Jahren, die sich vielleicht allzu spontan und unkritisch für Ideen und Ideologien begeistern lassen, die letztlich nur dem Machtbestreben einzelner Individuen dienen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von RPGK; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 08.02.2022

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