Münchhausen. Die Wahrheit übers Lügen

Autor*in
Flix,
ISBN
978-3-551-76303-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Kissel, Bernd
Seitenanzahl
192
Verlag
Carlsen
Gattung
Comic
Ort
Hamburg
Jahr
2016
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
17,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs wird kein geringerer als Sigmund Freud – der Begründer der Psychoanalyse – in den Buckingham Palast gerufen. Denn ein etwas verschrobener alter Mann, der steif und fest behauptet, er käme vom Mond, ist auf dem Dach des Königspalastes gelandet. Es handelt sich um keinen geringeren als den sagenumwobenen Lügenbaron von Münchhausen. Freud soll im Auftrag ihrer Majestät herausfinden, ob dieser Mann wahnsinnig ist, lügt, oder gar die Wahrheit sagt.

Beurteilungstext

Der Berliner Comicautor Flix hat sich bereits mehrmals an Comic-Adaptionen von Weltliteratur gewagt - stets auf sehr eigenwillige und freie, aber auch gelungene Art und Weise. Vor einiger Zeit hat er bereits Goethes „Faust" und Cervantes "Don Quixote" neu interpretiert: überraschend modern, intellektuell anspielungsreich und immer jenseits des Erwartbaren. In seinem neuen graphischen Roman widmet er sich gemeinsam mit dem Zeichner Bernd Kissel der deutschen Sage um den Lügenbaron von Münchhausen. Die Erzählungen um den notorischen Lügner mit Hang zur Psychose und historischen Wurzeln im 18. Jahrhundert werden von den beiden originell variiert.
Denn kein Geringerer als Sigmund Freud ist der Gegenspieler des Barons. Freud befindet sich im Londoner Exil. Er floh bereits 1938 mit seiner Familie vor den Nazis aus Wien, nun praktiziert er in der englischen Hauptstadt. Zu diesem Zeitpunkt ist der berühmte Therapeut bereits ein alter, kranker Mann – und er wird zu seinem vermutlich letzten Fall gerufen: Auf dem Dach des britischen Regierungspalastes ist ein ramponierter Heißluftballon gelandet, und mit ihm ein älterer Herr, der wie Freud deutsch spricht und behauptet, direkt vom Mond gekommen zu sein. Sehr verdächtig, aus Sicht der britischen Behörden, schließlich ist das Verhältnis zum Deutschen Reich nicht das Beste. Der seltsame, ältliche Mondgucker wird von Geheimdienstlern verhört. Diese sind allerdings völlig überfordert von den unglaublichen Geschichten, die ihnen ihr Gefangener erzählt. Es gibt nur einen Ausweg. Sie bitten den berühmten Wiener Psychoanalytiker um Hilfe...
Dass ausgerechnet der Urvater aller modernen Traumdeuter und Analytiker der Antagonist Münchhausens ist, darf als genialer Schachzug von Flix gewertet werden. War es nicht zuletzt Freud der in „Der Dichter und das Phantasieren“ die Rolle des Tagträumens, Phantasierens und Dichtens auf Kompensation festgelegt hat: Der Dichter, Lügner und Phantast gleicht die Langeweile und Bedeutungslosigkeit seines realen Daseins durch fiktionale Größenphantasien aus. Insofern sitzt Freud zwar am längeren Hebel als der Baron, hat aber logischerweise auch einen weiteren Wahrheitsbegriff (als beispielsweise die trögen Geheimdienstler). Er lauscht bei Wein und Zigarren fasziniert den Geschichten des Gefangenen, der sich als letzter Erbe der Familie Münchhausen vorstellt. Es entspannt sich ein ebenso spannendes wie vergnügliches Gespräch...

Während der Baron in karikaturnahen schwarz-weißen Zeichnungen im franko-belgischen Stil der „ligne clair“ neue Varianten seiner klassischen Episoden erzählt – z.B. vom Ritt auf der Kanonenkugel; von der Kunst, sich am eigenen Schopf aus misslicher Lage zu befreien; vom Hirsch mit dem Kirschbäumchen auf dem Kopf usw. - deutet Freud all diese Episoden vor dem Hintergrund seiner Kenntnisse um die menschliche Psyche und die verzwickte Lage der realen Welt. Insofern sind Geschichten des Barons in diesem Buch keine launigen Schnurren zur Unterhaltung einer Abendgesellschaft mehr, sondern der verzweifelte Versuch eines aus der Zeit Gefallenen: einer der letzten, der in einer vom Untergang bedrohten Welt an die Kraft der Posie glaubt.
Kurz und gut: Bernd Kissel und Flix haben hier eine spannende, unterhaltsame und vielschichtige Variation der Münchhausen-Erzählung geschaffen, keine versimpelte, auf einen Geschichtenkern reduzierte Nacherzählung wie so oft, wenn Klassiker der Literatur als graphische Erzählung wiederbelebt werden, sondern eine moderne Interpretation, die den originalen Kontext eigentlich schon voraussetzt.

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Diese Rezension wurde verfasst von OWA; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 12.12.2016

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