Mojsche und Rejsele

Autor*in
Stoffels, Karlijn
ISBN
978-3-407-78846-7
Übersetzer*in
Pressler, Mirjam
Ori. Sprache
Niederländisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
200
Verlag
Gattung
Ort
Weinheim
Jahr
2013
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
7,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Der 13jährige Mojsche trifft im Waisenhaus von Janusz Korczak auf Rejsele, die er, wie die gesamte Pädagogik des Doktors, ablehnt. Doch langsam verlieben sie sich. Gleichzeitig wütet der Zweite Weltkrieg. Als das Kinderheim 1942 ins Warschauer Ghetto umzieht, flieht Mojsche in den Untergrund. Auf Umwegen sehen sie sich zwar wieder. Doch der Abtransport nach Treblinka trennt sie scheinbar für immer. Erst als Rentner erfährt Mojsche, dass Rejsele lebt. Ein Traum wird wahr: sie treffen sich erneut.

Beurteilungstext

In ihrem Roman schafft es die Autorin Karlijn Stoffels auf einfühlsame und offenherzige Weise, ein dunkles Kapitel der deutsch-jüdischen Geschichte mit der Erzählung über eine zarte, aufkeimende Jugendliebe zu verbinden. Unverblümt richtet sie den Blick zum einen auf das Dritte Reich, den Holocaust, den Widerstand und auf das Judentum. Gleichzeitig verpackt sie diesen ""Lehrstoff"" in eine Geschichte über das Erwachsenwerden, die Wirrungen der ersten Liebe und des Abschieds.
Die Entwicklung der Beziehung zwischen dem 13jährigen Mojsche und der gleichaltrigen Rejsele steht im Mittelpunkt des Romanes und kann vom Leser in einzelnen Etappen verfolgt werden. Beide Hauptcharakteren bieten dabei als Identifikationsfiguren erst Recht jungen Lesern in diesem Alter einen idealen Zugang zur Geschichte. Sie beschreibt die Entfaltung der jungen Liebe, wie sie Jugendliche auch heute noch immer selbst erleben. Mojsche schildert als Ich-Erzähler in seiner oft kühlen, manchmal distanzierten Art von seiner aufkommenden Zuneigung zu Rejsele. Dies verunsichert ihn sehr. Es fällt ihm schwer, seine Gefühle zuzulassen. Resejle davon wissen zu lassen, erscheint ihm als eine zunächst unlösbare Aufgabe, die ihn auch vor Rückschlägen nicht bewahrt. Ehe es eines Tages doch zur erfolgreichen Liebeserklärung kommt, müssen Mojsche und auch der Leser einiges an Geduld aufbringen. Interessant ist dabei die Perspektive des männlichen Protagonisten, die den Zugang zur Geschichte für Jungs wahrscheinlich vereinfacht.
Neben der aufkeimenden Liebesgeschichte verliert die Autorin nicht den historischen Rahmen außer Blick, in welchem diese spielt. Dabei gelingt es ihr, die Gräueltaten des Nationalsozialismus nicht sachlich und kühl aufzuzeigen, sondern diese fast versteckt zwischen den Zeilen in die Geschichte einfließen zu lassen. Dies wiederum machen sie zugleich unheimlicher und wirkungsvoller, als würden sie unverhüllt präsentiert werden. Der Leser spürt, es bahnt sich eine Katastrophe an. Es scheint, als müssten Mojsche und Rejsele den Weg in dieses Unglück gehen.
Geebnet wird dieser durch prägnante Schickschalsschläge, die im Buch fast schon etappenweise aufgeführt werden. So erfährt der Leser etwa von dem Kampf gegen die deutsche Invasionsarmee, vom Antisemitismus und der jüdischen Armut, vom Überfall auf Polen, wie Warschau in die Hände der Deutschen fällt oder auch vom Verbot für jüdische Kinder, öffentliche Schulen zu besuchen. Der Alltag von Mojsche und Rejsele im Waisenhaus wird von diesen Ereignissen immer mehr eingeschränkt. Sie erleben unmittelbar den Lebensmittelmangel, die Schikanen an den jüdischen Feiertagen, die Kennzeichnung jüdischer Geschäfte oder die Unterdrückung ihrer Kultur. Der Umzug ins Warschauer Ghetto scheint der vorläufige Höhepunkt dieses grausamen Wandels zu sein.
Stets stehen dabei nicht diese historischen Gegebenheiten im Vordergrund der Handlung, sondern die Gefühle und Gedanken der fiktiven Figuren. Durch diese Verbindung zwischen überliefertem Wissen und fantasievoller Fiktion wird dem Leser eine seltsame Nähe an das Geschehen gewährt, die es zu verarbeiten gilt. Diese Notwendigkeit erhöht sich, als die Eindrücke aus dem Ghetto, die Situation dort im Waisenhaus und schließlich die Andeutung des Endes, nämlich der Transport in ein Vernichtungslager, immer zentraler werden. Die Liebe zwischen Mojsche und Rejsele, die sich für kurze Zeit anscheinend endlich gefunden haben, lässt einerseits zwar etwas Hoffnung aufblühen, erhöht aber andererseits die Dramatik um ein Vielfaches.
Jenseits der beschriebenen Liebesgeschichte und als Bindeglied zwischen Realität und Fiktion steht die Figur des Janusz Korczak. Der Arzt und Kinderbuchautor war schon zu Lebzeiten eine Berühmtheit und einer der Vorreiter in der Reformpädagogik. Viele Elemente seines für damalige Zeiten ungewöhnlichen Erziehungsstils finden sich im Roman Mojsche und Rejsele wieder. So spielt Mojsche selbst eines Tages eine zentrale Rolle in Korczaks berühmtem Kindergericht. Der besondere Einsatz des Pädagogen für das Wohl ""seiner"" Kinder, seine Reaktion in angespannten Situationen oder auch seine wachsende Verzweiflung werden im Buch immer wieder eingebaut, spielen aber gegenüber der Haupthandlung eine eher untergeordnete Rolle. Die Autorin lässt Korczak somit bewusst nicht zu einer Hauptfigur werden, sondern errichtet ihm mit ihrem Roman vielmehr eine Art Denkmal.
Der Roman Mojsche und Rejsele ist sicher sehr anspruchsvoll, kann aber aufgrund der beschriebenen Verbindung zwischen Realität und Fiktion gerade für Jugendliche einen sehr guten Einstieg in die Auseinandersetzung mit einem schweren, aber nicht zu meidenden Thema deutscher Geschichte darstellen. Der junge Leser lernt etwas über die historischen Gegebenheiten, ohne belehrt zu werden. Er begreift aber auch, dass sich andere Jugendliche gar nicht so sehr von ihm unterscheiden, trotz der ungleichen Umstände.

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Diese Rezension wurde verfasst von SI.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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