Messer, Gabel, Enterhaken

Autor*in
ISBN
978-3-7152-0551-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Fleckenstein, Eugen U.
Seitenanzahl
91
Verlag
Gattung
Ort
Zürich
Jahr
2008
Lesealter
6-7 Jahre8-9 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
13,90 €
Bewertung
nicht empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Milo und seine Schwester Alexandra bringen die Anstandsregeln, die sie in einem Benimmkurs gelernt haben, einer wilden Piratenmannschaft bei.

Beurteilungstext

Das Buch versucht kleinen Jungen Benimm- und Anstandserziehung durch die Einbeziehung des zur Zeit beliebten Piratenthemas attraktiv zu machen. Um dem Bedürfnis der Jungen-Leser nach Drastik zu entsprechen, eröffnet das Buch mit einem starken, auch lautstarken Akt: ""´Kra-wumm!´ Mit Getöse schiebt sich der Bug eines großen Segelschiffs durch die Fenster des Palace-Hotels, in dem gerade ein Benimmkurs für Kinder stattfindet. Die großen Fensterscheiben zersplittern, die schweren roten Vorhänge zerreißen, kostbares Porzellan zerschellt am Boden."" Das Bild zeigt den starken Auftritt der Piraten: Eine Welle schwappt über das Fensterbrett, brüllend und säbelschwingend und mit gezogener Pistole springen die bärtigen Männer von Bord des Schiffes in den Raum, begleitet von einem kreischenden Papagei, während ein gedeckter Tisch mit Schüsseln und Tellern umstürzt und die jungen Teilnehmer des Benimmkurses vom Stuhl fallen. Dann raffen die Piraten das Silberbesteck zusammen. ""Grölend schlagen sie den Flaschen den Hals weg und lassen den Rotwein in den Hals rinnen. Andere schaufeln sich Vanilleeis und Birnenkompott mit den Händen in den Mund, werfen sich Kekse an den Kopf und treten mit ihren Stiefeln Scherben, Splitter und Kekskrümel in den Teppich."" Kurz, sie tun genau das Gegenteil von dem, was der Benimmkurs gerade vermitteln wollte.
Die Seeräuber nehmen Milo und seine größere Schwester Alexandra gefangen und bringen sie auf ihr Schiff und stechen wieder in See; verschwinden wieder so schnell, wie sie gekommen sind. Die Kinder sollen ihnen ein hübsches Lösegeld einbringen. Als Milo behauptet, sie seien Waisenkinder und hätten keine Eltern, die für sie Lösegeld bezahlen würden, macht der Kapitän Anstalten, sie den Fischen vorzuwerfen. Doch die Schiffsköchin verhindert dies und schlägt vor, dass die Kinder sich nützlich machen könnten, indem sie das im Benimmkurs eben Gelernte an die Piraten weitergeben, die damit auch lernen würden, sich weniger zu streiten und höflich miteinander umzugehen.
Weil die Piraten nicht auf die gute Küche der Köchin verzichten wollen, unterwerfen sie sich folgsam dem Umerziehungsprozess und geben nach dem Überfall auf einen Passagierdampfer sogar die gestohlenen Wertsachen mit einem Entschuldigungszettel zurück.
Als sich ein Polizeiboot nähert, verschwinden die Piraten fluchtartig und lassen Milo und Alexandra auf einer Insel zurück, und deren Eltern können die Geschwister wieder in ihre Arme schließen.

Die allmähliche Zivilisierung der Piraten wird jeweils unterbrochen von Doppelseiten, auf denen mit in anderer Typographie gedruckter Schrift die Benimmregeln aufgelistet sind, die das jeweils in der Erzählung angesprochene Thema von Tischsitten und gesellschaftlichen Umgangsformen betreffen und auch darauf eingehen, dass in anderen Ländern andere Sitten herrschen.
Sie sind in einem gestelzten Stil abgefasst, der auf das Benimmbuch zurückweist, das die Autorin Lucia Bleuler bereits für Erwachsene verfasst hat: ""Knigge für Leute von heute"". (""Aufstrebende Berufsleute erfahren, dass zum Erfolg im Geschäftsleben nicht nur fachliches Wissen, Leistung und Effizienz gehören, sondern der gewandte, souveräne Umgang mit Menschen entscheidend ist und letztlich über Erfolg oder Misserfolg bestimmen kann."")
Offensichtlich hat Bleuler recht wenig Kenntnis von den Bedürfnissen und Lebensumständen der Zielgruppe des vorliegenden Buches (die Textmenge und die Ausstattung mit einem hohen Bildanteil verweisen auf das Grundschulalter), sonst hätte sie in ihre Regeln z. B. nicht den Umgang mit dem Gourmet- oder Saucenlöffel eingebracht, mit dem man auch Fisch zerteilen darf, und auch nicht mit vollem Ernst geschrieben: ""Wären die Piraten etwas höflicher, hätten sie die Kinder erst nach ihren Namen gefragt und sie dann der Mannschaft vorgestellt. Man stellt immer die jüngere der älteren Person vor. Etwa so: ´Darf ich bekannt machen, das sind die Geschwister Alexandra und Milo.´ Anschließend würden sich die Piraten einzeln vorstellen."" Das wirkt lächerlich und hat schon etwas von Realsatire.
Die Aufzählung ihrer Anstandsregeln entfernt sich dann immer weiter von der Handlung der begleitenden Erzählung und spricht Themen an, die eher für das allgemeine gesellschaftliche Verhalten von Jugendlichen und Erwachsenen relevant sind. Zusätzlich handelt es sich bei Polsterschlitzen, Ritzen von Fensterscheiben und Sprayen nicht um schlechtes Benehmen, sondern um Kriminalität.
Dass sich die Zeiten geändert haben und man z. B., nachdem man Hähnchenkeulen mit der Hand gegessen hat, sich die Finger nicht in Fingerschalen säubert, sondern mit bereitliegenden Feuchtigkeitstüchlein, und dass die Kleidervorschriften sich für Theater und Konzert u. ä. gelockert haben, ist noch nicht bis zu ihr vorgedrungen.

Der Verlag umkleidete Bleulers Anstandsregeln mit einer Erzählung von Christoph Schuler, in der die beiden Kinder Milo und Alexandra als willkommene Identifikationsträger fungieren sollen, weil sie hier den Erwachsenen mit ihrem Wissen voraus sind. Leider treten sie penetrant belehrend und oberlehrerhaft auf. Sogar dem Affen wird Benimm beigebracht: es gehört sich nicht, Vogelnester auszunehmen. Die männlichen Piraten ducken sich verlegen und beschämt wie Hündchen mit eingezogenem Schwanz unter den Anweisungen der weiblichen Köchin. Für Jungen, denen man beibringen will, sich vor dem Essen die Hände zu waschen, ist dies kein Modell, das zur Nachahmung reizt.
Die Erzählung bezieht ihren Humor aus der Konfrontation von ungebändigtem, ungehobeltem Verhalten, mit dem man seiner Körperlichkeit, seinen Lüsten und seiner Lebenslust ungebremsten Lauf lässt, mit einem disziplinierten Verhalten, das auf die Mitmenschen Rücksicht nimmt. Der Witz wird aber eingeschränkt durch den allzu deutlich erhobenen pädagogischen Zeigefinger.
Allein durch die groteske Übertreibung der Rüpelhaftigkeit kann Kindern heute schon vermittelt werden, dass es sich hier um Ironie handelt. Bestes Beispiel dafür ist ""Das große Benimm-Buch"" (1984) von Egbert Herfurth.

Dazu kommt, dass die Illustrationen im Stil der japanischen Zeichentrickfilme wie ""Heidi"" hölzern in der Gestik und die Frisuren genormt sind und die Mimik sich auf stereotype Mundstellungen beschränkt.

Auf dieses Buch kann verzichtet werden.

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Diese Rezension wurde verfasst von gsd.
Veröffentlicht am 01.01.2010