Mein Weg über die Pyrenäen - Erinnerungen 1940/41

Autor*in
Fittko, Lisa
ISBN
978-3-423-62189-2
Übersetzer*in
Übersetzer, kein
Ori. Sprache
Keine Übersetzung
Illustrator*in
Illustrator, kein
Seitenanzahl
336
Verlag
dtv
Gattung
Biografie
Ort
München
Jahr
2004
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
8,50 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Porträt einer ungewöhnlich mutigen Frau. Lisa Fittko erzählt von ihrer Flucht aus Paris bis nach Südfrankreich in den Jahren 1940/41. Sie erinnert sich an ihren Einsatz als Fluchthelferin an der französisch-spanischen Grenze. Gemeinsam mit ihrem Mann hilft sie selbstlos Menschen, die als Hitlergegner von der Auslieferung an das Nazi-Deutschland bedroht sind.

Beurteilungstext

Wenn man jungen Menschen Geschichte begreiflich machen möchte, dann hilft es oft, authentische Zeugnisse von Zeitgenossen sprechen zu lassen.
Das Buch “Mein Weg über die Pyrenäen - Erinnerungen 1940/41” ist so ein Zeugnis. Geschrieben wurde es von einer ungewöhnliche mutigen Frau, von Lisa Fittko. Gemeinsam mit ihrem Mann Hans organisierte sie den Fluchtweg für viele von der Auslieferung an das Nazi-Deutschland bedrohten Menschen über die Pyrenäen bis zur spanischen Grenze.
Anschaulich und vollkommen unheroisch erzählt sie von ihrem Einsatz als Fluchthelferin, der nur eine Station ihrer langen Odyssee beschreibt. Die Autorin gliedert ihre Aufzeichnungen chronologisch in mehrere Kapitel, die ihr Leben auf der Flucht in den Jahren 1940/41 zum Inhalt haben. Das neunte Kapitel hebt sich von den anderen hervor: In der Form eines Tagebuchs schreibt Lisa Fittko ihre Erinnerungen als Fluchthelferin nieder.
In den ersten Kapiteln erfährt der Leser von ihrer Flucht aus Berlin über Prag und Zürich nach Paris. Er verfolgt ihre Odyssee weiter nach Südfrankreich, wo die Autorin in dem berüchtigten Frauenlager von Gurs interniert wurde. Später liest er von ihrer Flucht nach Marseille, wo sie und ihr Mann vom Emergency Rescue Commitee gebeten werden, organisierte Fluchthilfe über die Pyrenäen zu leisten. Obwohl sie selbst in Lebensgefahr sind, schlagen sie die Bitte nicht ab. In Zukunft spricht man bei dem Fluchtweg aus Frankreich über die Pyrenäen nach Spanien von der F-Route.
Spannend beschreibt die Autorin, wie sie gemeinsam mit ihrem Mann Flüchtlinge über die französische-spanische Grenze schmuggelt. Dabei reiht sie in ihren Tagebuchaufzeichnungen eine Episode nach der anderen. Die wohl bekannteste und sehr ausführlich beschriebene ist die von der Pyrenäen-Überquerung mit dem Philosophen Walter Benjamin. Das Buch wäre von ihr nicht geschrieben worden, wenn man sie nicht dazu gedrängt hätte, ihre Begegnung mit dem berühmten Philosophen, der sich nach dem Grenzübertritt in Spanien das Leben nahm, aufzuschreiben.
Aus den Aufzeichnungen wird dem Leser klar, wie gefährlich es war, mit den Exilanten frühmorgens bei Nacht und Nebel aufzubrechen, sich unter die Weinbauern zu mischen, um nicht Aufsehen zu erregen, und dann den schweren Weg über die Berge zurückzulegen - bis zu dreimal in der Woche. Keiner der Flüchtlinge besaß gültige Ausreisepapiere. Oftmals hatten sie Glück, nicht verhaftet zu werden. Wohl auch deshalb, weil es viele Einheimische gab, die sie bei ihrer Arbeit unterstützten. Andere wieder ließen sich mit Geld oder Zigaretten bestechen.
Fragt man Lisa Fittko, was sie dazu gebracht hat, unter Einsatz des Lebens den Menschen zur Flucht zu verhelfen, sagt sie: “Es war das Selbstverständlichste.” Sie sah sich in ihrer Arbeit stets als eine unter vielen Widerstandskämpfern. Selbstlos, sich nicht dem Schicksal unterordnend sucht sie auch in schwierigen Fällen nach Wegen, den Exilanten die Flucht zu ermöglichen. Indirekt macht sie dem Leser dadurch Mut, auch in allerschwierigsten Situationen nach Wegen für eine Lösung des Problems zu suchen.
Ihre Episoden spiegeln viele Schicksale einzelner Flüchtlinge wider, die dann in ihrer Gesamtheit ein eindrucksvolles historisches Porträt aus der Zeit der Besetzung Frankreichs durch Hitlerdeutschland aufzeigen.
Es ist von der Angst der Flüchtlinge, verhaftet zu werden, ehe sie es geschafft haben auszureisen, die Rede, von der Hoffnung der Menschen, endlich die ersehnten Ausreisevisen in der Hand zu halten, von gezielter Boshaftigkeit und Brutalität der französischen Beamten, aber auch von der Hilfe mutiger Einheimischer.
Das Buch endet mit ihrer Flucht nach Kuba und einigen Aufzeichnungen aus ihrem Tagebuch.
Eine Zeittafel mit geschichtlichen Fakten aus der Zeit von 1925 bis 1945, Erklärungen zur Internierungspraxis in Frankreich 1939/40, ein Text über das Emergency Rescue Commitee und ein Verzeichnis unbekannter Vokabeln und Aussprüche schließen sich den Erinnerungen Lisa Fittkos an.
In der Autobiografie überwiegen erzählerische Elemente. Dialoge lockern den Text auf. Behinderlich beim Lesen sind die vielen französichen Textstellen, deren Übersetzungen am Ende des Buches nachzuschlagen sind.
Fotos von Lisa und Hans Fittko, die den Erinnerungen beigefügt worden sind, bereichern in optischer Form das Leseerlebnis. Als nützlich erweist sich außerdem die geografische Karte im Einband der Taschenbuchausgabe.
Am Ende ihrer Erinnerungen schreibt Lisa Fittko folgende Sätze: “Unmenschlichkeit ist typisch für Faschismus, nicht für die Eigenheit einer Nation. (...) Nur die Formen ändern sich. Man möchte gerne glauben, dass einzig der Charakter des deutschen Volkes verantwortlich ist, denn dann glaubt man auch: Bei uns kann das nicht passieren. Die das glauben, haben nichts gelernt.” (S. 302)
Kein Zweifel, es ist gut, dass dieses Buch geschrieben und verlegt worden ist. Es erweist sich nicht nur als eindrucksvolles Zeugnis von mutigen und klugen Menschen im Widerstand der Hitlerzeit, das viel mehr Jugendliche in unserer Zeit lesen sollten, um geschichtliche Zusammenhänge besser verstehen und diese mit dem aktuellen Zeitgeschehen in Verbindung bringen zu können. Es vermittelt jungen Menschen aber auch moralische Werte vom Leben, die in unserer Zeit oftmals abhanden gekommen sind oder zumindest nicht mehr als für so wichtig angesehen werden.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von GaSc.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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