Liebeslinien

Autor*in
Lembcke, Marjaleena
ISBN
978-3-312-00966-4
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
176
Verlag
Nagel & Kimche
Gattung
Ort
Zürich
Jahr
2006
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Klassenlektüre
Preis
14,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die 17-jährige Aulikki versteht weder ihre Eltern noch ihre Umwelt. Sie zieht nach Helsinki, um das Abitur nachzumachen, und trifft dort Männer und Frauen, die sich mit ihr anfreunden wollen. Sie erlebt Sex, doch Liebe spürt sie nie, nicht einmal verliebt fühlt sie sich. Dann lernt sie den Fotografen Sauli kennen. Zum ersten Mal hat sie selbst Gefühle, doch Sauli will sich nicht festlegen. Aulikki versucht sich umzubringen, doch sie wird gerettet. Findet sie jetzt eine Lebensbasis?

Beurteilungstext

Ein seltsames Mädchen, diese Aulikki. Sie geht durchs Leben wie durch ein Naturkundemuseum, betrachtet die Ausstellungsstücke und speichert ihre Eindrucke. Sie sagt selbst, dass sie zwar die Bilder aufnimmt, aber nicht einmal "entwickelt", alles bleibt unsortiert, unkommentiert, ohne Bezug zu ihr selbst. Sie erlebt, wie Andere Gefühle haben, sie ausleben und wieder verlieren, regungslos nimmt Aulikki das wahr, bleibt aber ungerührt. Viele Menschen versuchen sie zu Gefühlen zu bewegen, doch diese Sprache spricht sie nicht. Sprache ist sowieso nicht so ihre Sache, ihr kommen Gespräche hohl und sinnentleert vor. Sie kennt ehrliche und offene Worte auch nicht von zu Hause.
Dieses Elternhaus, aus dem sie stammt, ist eine Sache für sich: Die Mutter dominierte stark, fiel vor allem durch lautes und deutliches Sprechen auf, machte den Rest der Familie eher mundtot. Dann erkrankte sie an Brustkrebs, konzentrierte sich nur noch auf sich und ihre Krankheit, bis sie starb. Der Vater heiratete die jüngere Schwester, genauso hilflos wie er selbst, auch unfähig zu echtem Kontakt. Kein Wunder, dass Aulikki hier keine Beziehungen erlebt und auch selbst nicht aufbauen kann. Doch auch die Großstadt Helsinki schafft: keine Veränderung. Es bleibt beim "Schaufenster"-Effekt, das Leben spielt sich wie hinter Glas ab. Und ob die "Anderen" wirklich mehr "leben", bleibt eine offene Frage.
Das erste Lesen der Geschichte erschüttert. Wie kann ein Mensch so leben, sich so fühlen bzw. eben nicht "fühlen"? Von Seite zu Seite aber dämmert es mehr: Hat man sich nicht in diesem Alter oft genau so fremd gefühlt? So isoliert, so gefühlsunsicher, so "im luftleeren Raum"? Wie oft entstand die Frage: Wie können alle Anderen so sicher über ihren Platz und ihre Rolle sein? Und diese Frage bewegt viele junge Leute an dieser Schwelle des Erwachsenwerdens. Und gerade die sensiblen, emotionalen Menschen stellen sich Fragen dieser Art am ehesten, fühlen sich sm unsichersten und wirken deshalb gerne besonders unterkühlt.
Der Mentalität Aulikkis entsprechend ist die Sprache dieses Buches gewählt. Lakonisch, kurz angebunden, oft an zerfallende Puzzles erinnernd purzeln Worte und Sätze. Scheinbar fehlt die große Urne, die Obersicht, die logische Abfolge, aber nur scheinbar. So punktuell, assoziativ, sprunghaft gehen Gedanken ihre Wege, meist drückt erst der/die Schreibende dem Chaos eine künstliche Ordnung auf. Nicht so hier. Marjaleena Lembcke, immer schon bekannt für Reduktion unter Emotion, lässt Masken des Wohlverhaltens, der Anpassung an das Gesellschaftlich-Akzeptierte einfach fallen. Sie nennt Dinge beim Namen, ist gleichzeitig schonungslos offen in der Schilderung äußerer Erfahrungen und zeigt genau so klar Unsicherheit, Verschüchterung und Ängste.
Die Grundstimmung des Buches findet sich perfekt übersetzt im Cover: Melancholie, ja Depression in schwarz-weißer Zeichnung, sepiafarben, abgetönt durch den historischen Abstand zu den 60er Jahren das letzten Jahrhunderts, darüber die klaren finnischen Farben Blau und Weiß, die so gar nicht zum Grundgefühl der Firmen passen wollen.
Ein kurzer Roman über eine gar nicht lineare Liebe, anspruchsvoll und fordernd, aber jede Mühe wert, und trotz der depressiven Grundstimmung nie ohne Hoffnung auf ein gutes Ende, im Buch wie im Leben. Schön!

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von bh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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