Liebe ist das Paradies
- Autor*in
- Chidolue, Dagmar
- ISBN
- 978-3-401-02395-3
- Übersetzer*in
- –
- Ori. Sprache
- –
- Illustrator*in
- –
- Seitenanzahl
- 120
- Verlag
- Arena
- Gattung
- –
- Ort
- Würzburg
- Jahr
- 2007
- Lesealter
- 12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
- Einsatzmöglichkeiten
- Klassenlektüre
- Preis
- 5,95 €
- Bewertung
Schlagwörter
Teaser
Jutta ist fünfzehn und wächst im Deutschland der späten Fünfziger Jahre auf. Gemeinsam mit ihren Freundinnen träumt sie von der großen Liebe “wie im Roman”, doch ihre eigene Schüchternheit und Unerfahrenheit machen das genau so schwierig wie die strengen Moralvorstellungen ihrer Umwelt.
Beurteilungstext
Dass Liebe das Paradies sei, glaubt Jutta nur aus der Sicht der aus diesem Vertriebenen, aus der Sicht über den Zaun auf verbotene, aber gerade deshalb umso verlockendere Früchte. Sie hat diese Früchte noch nicht “genossen”, kennt gleichsam nur die Abbildungen aus dem Katalog ihrer Liebesromane, die immer dann ausblenden, wenn es eigentlich richtig interessant würde. Und als ein vorsichtiges “Kosten” sich abzeichnet, bekommt sie Angst vor der eigenen Courage und findet genug Vernunftgründe, die das ganz selbstverständlich verbieten.
Es ist eine für heutige LeserInnen seltsame Welt, diese enganliegende Heimeligkeit der Fünfziger, die Zeit ängstlicher Restauration, gefühlsmäßiger Sprachlosigkeit und eines lückenlosen Korsetts von Macht-man bzw. Tut-man-nicht. Wer diese Zeit nicht selbst erlebt hat, kann kaum glauben, dass das alles erst 50 Jahre her ist, dass, nur wenig später, sowohl Rudi Dutschke als auch Oswalt Kolle das Denken bestimmten und man nicht ganz zu Unrecht von einer “Revolution” sprach.
Noch aber sind wir, im Buch, mitten im Muff der Adenauerzeit, eine Berührung beim Tanzen ist schon an der Grenze des Unvorstellbaren, die selbergenähte Bluse sollte “oben” dicht abschließen und ein Mädchen, das mit seinem Cousin Radtouren unternimmt, gilt als Flittchen. Das wird nicht nur als “gegeben” hingenommen, die Erzählung selbst bleibt auch in solchen und ähnlichen Denkweisen und “Sitten” verhaftet und stellt nirgendwo die Gegebenheiten in Frage. Das mag häufig auch in der Realität dieser Zeit so gewesen sein, doch immerhin gab es bereits Rocker und rebellierende “Halbstarke”. Nicht so hier. Hier wird die junge unverheiratete Mutter ins Nonnenheim gesteckt und ihr Kind zur Adoption freigegeben, hier entscheidet ganz allein der Vater als “Familienvorstand”.
Das hat beim Lesen einen ganz eigenen historischen Reiz, trifft vieles atmosphärisch ganz genau und ist auch in der Erzählweise passend zur Zeit. Dennoch stellt sich die Frage: Wer will das lesen? Hat das heutigen Jugendlichen irgend etwas zu sagen, zu vermitteln? Sicher nicht als “Ratgeber”, als “Lebenshilfe”, da ist die Kluft zwischen damals und heute Lichtjahre groß. Doch mehr als nur Einblick in geschichtliche Epochen gibt gerade ein Buch über die Fünfziger Aufschluss über die Hintergründe und Herkunft der heutigen Eltern- und Großelterngeneration, lässt erkennen, warum manchmal so unverständlich reagiert wird und was die den Alltag großenteils bestimmenden Erwachsenen aus dieser Zeit formte und ihre Weltsicht prägte. Davon allein versteht man sich untereinander noch nicht besser, aber es ist ein wesentlicher Schlüssel, um wenigstens Akzeptanz zu erreichen, aus der Verständnis erwachsen kann.
Oft wir derzeit ein Rückfall in die Vorstellungen dieser Zeit beklagt, von Restauration und Konservativismus gesprochen, der von hier kommen soll. Wer dieses Buch aufmerksam liest, wird leicht erkennen, dass eine solche Einschätzung weit über jedes Ziel hinausschießt. Diese Zeit, von Älteren wegen des “Wirtschaftswunders” noch oft als Goldenes Zeitalter betrachtet, lässt sich nicht wiederholen und das ist auch gut so. Denn: Nichts gegen “Sitte und Anstand” - aber hier herrschten Bigotterie, Heuchelei und Engstirnigkeit, und da sollte niemand wieder hinwollen.
Und wenn der hier geschilderte Umgang mit Liebe das Paradies gewesen sein soll, dann seien wir froh, daraus vertrieben worden zu sein.