King kommt noch

Autor*in
Karimé, Andrea
ISBN
978-3-7795-0568-6
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Rassmus, Jens
Seitenanzahl
37
Verlag
Peter Hammer Verlag
Gattung
Ort
Wuppertal
Jahr
2017
Lesealter
8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
9,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Ein Junge ist mit seinen Eltern und dem Baby vor dem Krieg geflohen in ein fremdes Land. Er versteht die Sprache nicht, kann nicht mehr lesen, und die Menschen in dem Land tun seltsame Dinge. Das Schlimmste aber ist, dass sein Hund King nicht mitgekommen ist. Seine Mutter tröstet ihn, dass King noch nachkommt. Deshalb sendet der Junge jeden Tag eine Nachricht an King, damit er den Weg übers Meer zu ihnen findet.

Beurteilungstext

Die einfühlsame Zeichnung des Einbands thematisiert bereits alle wichtigen Handlungselemente: Der Junge steht weit ab vom Meer jenseits einer breiten Asphaltstraße. Er blickt zurück zu einem kleinen schwarzen Hund auf der anderen Seite der Straße, wobei für den Betrachter nicht eindeutig zu erkennen ist, ob er diese Straße überqueren wird. Es muss King sein, auf dessen Ankunft der Junge sehnlichst wartet. Der Junge hält ein großes blaues Buch in seinen Armen und die Farbe blau dominiert das Bild. Damit wird auf die Taschenlampe hingewiesen, die der Junge von der Frau mit den weißen Haaren von gegenüber geschenkt bekommt und deren blauer Lichtschein alle Bücher lebendig werden lässt.
Mindestens auf jeder Doppelseite illustrieren die Zeichnungen von Jens Rassmus Handlung und Gefühle des Protagonisten. Sie sind in den gleichen Farben wie der Einband gehalten (Blau-, Grün- und Brauntöne dominieren). Wenn man nur die Zeichnungen betrachten würde ohne den Text zu lesen, könnte man das Wesentliche des Buchs erfassen, so dass es sich sowohl zum Vorlesen als auch zum Selberlesen eignet.
Auch der große Druck trägt dazu bei, dass Leseungeübte die Erzählung allein bewältigen können. Eine Verständnishilfe ist, dass die Botschaften des Jungen an King am Ende eines jeden Kapitels sich farblich vom übrigen Text unterscheiden. Das Buch ist in kurze Kapitel mit sprechenden Überschriften unterteilt, die die Leseportionen überschaubar machen. Karimé erzählt in einer einfachen, aber dennoch anschaulichen Sprache und aus der Sicht des Jungen in der Ich-Perspektive, wodurch die Geschichte für Kinder noch nachvollziehbarer und die Botschaft eingängiger wird.
Hinweise auf die Schrecken des Krieges und der Flucht sind vor allem in den Ratschlägen an King enthalten. So soll der Hund nur nachts unterwegs sein (Seite 4), sich in den Bergen vor den Männern mit Waffen hüten (Seite 10), am Meer nach Männern suchen mit "Geldscheinen in den Hosentaschen und Narben im Gesicht", die "sogar nachts Sonnenbrillen tragen" und immer "Leise, verdammt" sagen (Seite 16). King muss in ein Boot, "und darin ist nicht viel Platz. Und manchmal fällt jemand ins Wasser. Halt dich gut fest." (Seite 23) Das letzte Beispiel verdeutlicht, wie es Karimé gerade durch ihre einfache Sprache und kurze Sätze gelingt, scheinbar Unsagbares greifbar zu machen, ohne dass es kitschig oder reißerisch wirkt. Die vordergründig banale Handlung macht junge und erwachsene Leser betroffen.
Mit den gleichen Mitteln arbeitet die Autorin um einen Eindruck zu vermitteln, mit welchen Schwierigkeiten Flüchtlinge im neuen Land zu kämpfen haben. So muss der Junge feststellen, als ein Mann ihm in einem Büro ein Buch mit Bildern und Buchstaben zeigt: "[…] es ist schrecklich: Ich kann nicht mehr lesen." (Seite 11). Ein Glatzkopf in Männerkleidern entpuppt sich als Frau (Seite 22), und in einem Schaufenster entdeckt er eine "nackte Riesenpuppe mit Busen" (Seite 21). Dem Jungen erscheint das neue Land leiser als das alte und es gibt drei Straßen: "Eine für Autos und gleich zwei am Rand, extra für Kinder und Hunde und Menschen." (Seite 6). Folglich bezeichnet der Junge diese Straßen als "Kinder-Hunde-Menschen-Straßen" (Seite 30). Am meisten beschäftigt ihn jedoch seine Beobachtung, dass ein Hund seinen Haufen am Straßenrand macht und der Besitzer diesen mittels einer Plastiktüte aufhebt und darin fortträgt (Seite 7ff). Es dauert mehrere Tage, bis der Junge herausbekommt, dass der Hundekot in einer Abfalltonne entsorgt wird.
Aber es gibt auch Vertrautes und Erfreuliches: Im benachbarten Fahrradladen darf sich der Junge ein Fahrrad ausleihen und damit seine Straße erkunden (Seite 22ff) und es gibt eine Teestube wie zuhause (Seite 18). Am Ende schenkt ihm eine Nachbarin eine Taschenlampe mit blauem Licht. Der Junge entdeckt, dass dieses Licht sein Buch lebendig werden lässt: Tiere und Menschen bewegen sich und er kann sie hören und verstehen. Als er wieder in das Büro muss mit den vielen Büchern, hält er auch dort seine Lampe auf die Seiten und erzielt den gleichen Effekt, so dass er nun den ganzen Tag mit den "lebendigen" Büchern verbringt und schließlich sogar King entdeckt, der nun Flügel hat und davonfliegt.
Das märchenhafte Ende der Erzählung dürfte der Intention geschuldet sein, den jungen Lesern wie dem Protagonisten nicht die Hoffnung zu nehmen, dass King doch noch den Weg zu dem Jungen findet, wie der Titel ja verheißt.
Andrea Karimé und Jens Rassmus schaffen eine Erzählung zu einem hochaktuellen und brisanten Thema: Flüchtlinge. Sie bereiten es so auf, dass die Schrecken von Krieg und Flucht sowie der Kulturschock für Kinder verständlich und nachvollziehbar werden, lassen Erinnerungen an die alte Heimat ohne Verherrlichung oder Wehmut zu, erzählen aber auch von schönen Dingen im neuen Land. Deshalb gehört dieses Buch in jede Klasse und es ist ein wichtiger Beitrag, wenn man Flüchtlinge verstehen will.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Anmq.
Veröffentlicht am 01.04.2017

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