Kein Bett in der Nacht

Autor*in
Almeida, Maria InêsAlmeida de Oliveira, José
ISBN
978-3-95728-487-7
Übersetzer*in
Pasquay, Sarah
Ori. Sprache
Portugiesisch
Illustrator*in
Vidinhas, Cátia
Seitenanzahl
32
Verlag
Knesebeck
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)Sachliteratur
Ort
München
Jahr
2021
Lesealter
6-7 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Ein interessantes Buch über Obdachlosigkeit, das ein erster Appell für Kinder sein kann. Das Buch erfordert aber Vermittlung, damit der Appell nicht bald in Vergessenheit gerät.

Beurteilungstext

Auf 11 illustrativ sehr anziehenden Doppelseiten (u. a. viele weiche Grün-Blautöne auf hellblauen Grundpartien, Figuren, die in ihren Bewegungen an den Expressionisten Feininger erinnern) wird ein männlicher Obdachloser vorgestellt. Er ist namenlos, also Typus, meistens mit grauem langem Bart, in zusammengesuchter Winterkleidung. Er ist in der Folge wiedererkennbar durch seine meist rote Mütze und seinen Hund.

Die Illustratorin legt auf den ersten 6 Seiten Wert auf die Darstellung seiner Isolation, die allerdings wegen der schönen Umgebungen eher etwas romantisch als „Einsamkeit“ erscheint: Die erste Doppelseite zeigt in Vogelperspektive eine Einzelfigur, die eine Kartonfläche in den Umrissen eines Hauses wie ein Schutzschild vor sich trägt. Sie steht mit einem Hund in der Mitte eines winterlich weißen Platzes. Dieser ist von einem Kranz individuell und gemütlich gestalteter Altbauten, eingefasst von Bäumen, umgeben. Alle Fenster und Türen sind geschlossen.

Grafisch unaufdringlich ist in der linken oberen Ecke der Seite ein Textblock angebracht, mit einer etwas trocken bürokratischen Definition von Obdachlosigkeit. Formulierungen wie „finanzielle und soziale Gründe“ und „improvisierter“ Unterschlupf regen in ihrer Allgemeinheit zunächst nicht zur Teilnahme an.

Persönlicher wird der Text ab Seite 2: Ein offenbar erwachsener Ich-Erzähler berichtet von seiner kindlichen Fehleineinschätzung: Er selbst (die späteren Bilder lassen auf einen Jungen schließen) ist zur Nacht in ein Zimmer eingepfercht, Obdachlose seien dagegen „Glückspilze“, die im Freien den Sternenhimmel studieren können. Entsprechend sind stimmungsvoll ein schwarzes Firmament mit Riesenmond und Sternbildern dargestellt und unter Bäumen sitzend ein einzelner Mann mit Hund in andächtiger Betrachtung.

Die Folgeseiten betonen zeichnerisch das Motiv der unangenehmen Isolation: verwechselbar ein Mann mit Hund alleinstehend gegenüber einer quirligen Menschenmenge; oder hockend an einem leeren weißen Abhang vor bunter Stadt; oder in strömendem Regen im Abstand zu einer Familie mit Regenschirmen. Dazu gibt der Ich-Erzähler Erklärungen seiner Eltern zu Wahrnehmungen wieder, die dem nun älteren Kind nicht mehr so eindeutig scheinen wie in jüngeren Jahren: Obdachlose sind keine „Glückspilze“, sondern oft „traurig“, ebenso wie andere Menschen glücklich oder fröhlich und „traurig“ sind.
Auf die erstmalige ernsthafte Frage nach den Gründen für „Traurigkeit“ nennen die Eltern (in einem längeren Text) Tod und Trennung von Nahestehenden, Liebeskummer, Arbeitslosigkeit, Schulden. Damit unterscheidet sich die Gruppe der Obdachlosen nicht von vielen anderen Menschen. Die wichtige Frage, wie die einzelnen Unglücksfälle oft miteinander verbunden sind und weshalb manche Menschen besser damit fertig werden und nicht auf der Straße landen, wird nicht gestellt. Andererseits werden Obdachlose mit den verallgemeinernden Hinweisen der Eltern aus ihrer Fremdartigkeit befreit.

Es folgen dann (ab der 2. Hälfte des Buches, S. 7) Aktivitäten zur Verbesserung; nach dem kindlichen „warum helfen wir nicht alle den Obdachlosen?“ der Beschluss, „Weihnachten […] in wohltätigen Einrichtungen“ für Obdachlose zu sammeln. Auf der umrahmenden Abbildung packt ein Junge allerhand Nützliches für den Aufenthalt im Freien zusammen. Zusätzlich wird eine freundliche Kontaktaufnahme mit einem namentlich benannten Obdachlosen, Herrn Antonio, erwähnt. Er berichtet von früheren Lebensverhältnissen: Seine Liebe zu Haustieren spricht vermutlich kindliche Leser an, sein Wunsch nach einem Philosophiebuch offenbart überraschend intellektuelle Interessen.

Die folgenden Seiten zeigen einen Obdachlosen überwiegend in Gesellschaft eines kleinen Jungen, auf dem Schlussblatt dann in einer Familie, in der die Eltern über ihn und den Jungen schützend ihre Arme ausstrecken.
Im begleitenden Text wird die Hoffnung geäußert, das vorliegende Buch „möge von Jahr zu Jahr an Aktualität verlieren“, indem sich die Zahl der Obdachlosen verringere.

Beurteilung
Es spricht für den Realitätssinn des Verfassers, dass sich der Sprecher vor allem „zu Weihnachten“ auf Hilfeleistungen für Bedürftige besinnt. Im ganzen Jahr verlässt man sich wohl eher auf Behörden. Auch die skeptische Anmerkung der Mutter gegenüber dem Jungen, dass mit dem Älterwerden viele „Ideale“ (eine letztlich oberflächliche Ausdrucksweise – sie meint die Hilfsbereitschaft) nicht überleben würden, deutet zumindest an, dass der Buchinhalt nicht von Gefühlsduselei beherrscht wird. Dafür sorgt auch die raffinierte Zugabe der Illustratorin: Auf keiner Seite wird ein Obdachloser in den Räumen eines Hauses gezeigt. Ein solches ist aber immer als kleine Erinnerungs-Zugabe auf jeder Seite verzeichnet, gehäuft in verschiedenen Formen auf den Innenseiten der Buchumschläge.

Ein interessantes Buch als erster Appell, der aber Kindern erklärt werden müsste, um nicht bald in Vergessenheit zu geraten.

Gisela Brötje

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Diese Rezension wurde verfasst von gbr; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 08.02.2022

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