Jeden Tag ein bisschen mehr

Autor*in
Reid, Louisa
ISBN
978-3-8414-2229-3
Übersetzer*in
Pfaffinger, Birgit Maria
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
549
Verlag
FJB
Gattung
Ort
Frankfurt M.
Jahr
2015
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
16,99 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die 16-jährige Audreylebt mit ihrer Mutter und ihrem 5jährigen Bruder zusammen. Der Vater hat die Familie verlassen, Audrey sehnt sich nach ihm, hat aber keinen Kontakt. Sie ist schüchtern und wird von irgendeiner undefinierbaren Krankheit geplagt.
Als ihre Mutter aus Gründen, die im Dunkeln bleiben, mit den Kindern in ein unheimliches Haus umzieht, muss sie eine neue Schule besuchen. Dort wird sie schon bald gemobbt, denn sie ist anders. „Psycho“ nennt sie ihre ärgste Feindin.

Beurteilungstext

Die Klassifizierung dieses Buches ist nicht einfach: eine Adoleszenz-, eine Grusel- oder eine Kriminalgeschichte? Es bietet alles!
Es beginnt mit dem Einzug in das abgelegene, feuchte und gruselige Haus. Einzig eine Nachbarin lebt mit ihrem Neffen Leo auf einem Hof in der Nähe.
Leo ist zwei Jahre älter als Audrey und fühlt sich von Beginn an zu ihr hingezogen, für Audrey wird er in den nächsten Monaten Halt und Trost. Langsam fasst sie zu ihm Vertrauen, ohne sich ihm gegenüber je ganz zu öffnen. Zwischen beiden entwickelt sich ganz vorsichtig eine zarte Liebesgeschichte.
Der Zeitraum der Erzählung umspannt September bis Juli. Die Kapitel wechseln ab zwischen Audrey, die über sich selbst berichtet, und Leo, über den berichtet wird.
Audrey glaubt, dass etwas mit ihr nicht stimmt, dass sie Depressionen hat, dass ihr Leben wie ein Puzzle ist, zu dem das wichtigste Teil fehlt, wie ein Eislauf, bei dem sie die Richtung nicht bestimmen kann.
Ganz allmählich tauchen die Leser in ihre Geschichte ein, erleben eine Audrey, deren Lebensmittelpunkt anfangs nur ihr kleiner Bruder Peter ist und eine Mutter, die fürsorglich und hingebungsvoll der Tochter gegenüber erscheint. Anfangs bedauert man die Mutter und es dauert bis etwas zur Mitte des Buches, ehe erste Zweifel aufkommen an dieser Fürsorge. Sie redet ihrer Tochter zu eindringlich ein, dass sie krank sei, dass sie ins Krankenhaus müsse, dass sie sich als Mutter aufopfert und es ihr nicht gedankt wird. Die Beziehung zu Leo lehnt sie vehement und rabiat ab.
Irgendwann wird dem Leser – sehr viel eher als Audrey und Leo – klar, dass das Problem nicht Audrey, sondern ihre Mutter ist. Sie leidet am „Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom - dem Erfinden, Übersteigern oder tatsächlichen Verursachen von Krankheiten oder deren Symptomen bei Dritten, meist Kindern, um anschließend die medizinische Behandlung zu verlangen. Es handelt sich um eine subtile Form der Kindesmisshandlung, die bis zum Tod des Opfers führen kann. Häufig ist der von der Störung Betroffene ein Elternteil, meist die Mutter.
Die Geschichte liest sich ungemein spannend. Man taucht völlig in das Leben der beiden Familien ein (auch Leo hat ein Problem, das parallel erzählt wird) und wartet atemlos und ungeduldig, dass sich Audrey endlich gegen ihre Mutter wehrt. Das versucht sie mehrere Male, gibt aber immer wieder nach und kehrt – hauptsächlich aus dem Verantwortungsgefühl ihrem kleinen Bruder gegenüber – in die Obhut ihrer Mutter zurück. Ganz zum Schluss, als sie durch unzählige Tabletten schon fast handlungsunfähig ist, befreit sie sich endlich und akzeptiert für sich die Erkenntnis, dass ihre Mutter ihr Feind ist. Sie wehrt sich – mit Leos Hilfe - endlich erfolgreich.

Trotz der etwas unnötigen Längen ab der Mitte des Buches und der Zweifel, die sich beim Lesen einstellen, ob ein Kind wirklich 16 Jahre lang braucht, um für sich zu erkennen, dass sie sich nicht selbst die Pulsadern aufgeschnitten hat, sondern ihre Mutter das im Schlaf tat, alle Tabletten meistens brav schluckt, ohne mal die Packungsbeilagen zu lesen, den Mund selbst beim Arzt nicht aufbekommt, obwohl bereits Zweifel in ihr nagen – ist das Buch unbedingt empfehlenswert.
Es sensibilisiert die Leser, besser hin- statt wegzuschauen, wenn sich in ihrem Umfeld merkwürdige Dinge entwickeln.
Manche Tragödie könnte verhindert werden, wenn das Umfeld schneller und wirksam reagieren würde.
Der Titel und das Cover lassen keinerlei Rückschlüsse auf das brisante, spannende Thema zu und erschließen sich bestenfalls im Nachhinein. Das ist schade, weil Leser, die derart problemgeladene Literatur suchen, nicht angesprochen werden.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Pli; Landesstelle: Berlin.
Veröffentlicht am 29.04.2016

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