Irgendwo Nirgendwo - Die Geschichte einer Flucht

Autor*in
Heuck, Sigrid
ISBN
978-3-522-17671-2
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
400
Verlag
Gabriel
Gattung
Ort
Stuttgart
Jahr
2004
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
16,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Von Flucht und Vertreibung wird am Beispiel der Geschwister Bashir und Dunja erzählt. Sie müssen wegen des Krieges Afghanistan verlassen und kommen ohne den Schutz Erwachsener als "Illegale" um den halben Erdball.

Beurteilungstext

Flucht und Vertreibung - ein Thema für ein Kinder- und Jugendbuch?
Dass das Thema brennend aktuell ist, steht außer Frage. Die Tragödie der afrikanischen Flüchtlinge auf dem Mittelmeer, die Lage im Sudan sind nur Stichworte für unsere Erinnerung. Aber als Bürger dieses Landes kann man sich nur schwer eine Vorstellung davon machen, wie es ist ohne "Papiere" zu sein. (Wer einmal die Erleichterung einer ausländischen Familie erlebt hat, die endlich ihre "Unbefristete" (Aufenthaltsgenehmigung) erhalten hat, ahnt unter welchem Druck sie bisher stand.)

Aber: Ist dieses Thema Flucht und Vertreibung nicht viel zu komplex, sind die Tatsachen nicht viel zu brutal, die Hintergründe zu kompliziert und vielfältig, als dass man Kinder damit konfrontieren könnte?
Für Sigrid Heuck, geboren 1932, kennzeichnet das Thema die Epoche, in der wir leben. Deshalb bietet sie eigene lange Schreiberfahrung und auch namhafte Helfer bei der Recherche und Gestaltung auf, um das Buch zu schreiben, das Kindern und Jugendlichen ermöglicht, sich mit der grausamen, verstörenden Wirklichkeit auseinander zu setzen.
Basierend auf Tatsachenberichten vieler Flüchtlingskinder erzählt sie die Geschichte der Geschwister Bashir und Dunja. Sie verlassen wegen des Krieges Afghanistan und müssen um den halben Erdball, um ihren Onkel in London zu finden und erleben:
die Flucht über den Hindukusch,
den Verlust der Würde durch Abhängigkeit von Helfern,
den Tod von Familienangehörigen auf einem sinkenden Schiff,
die Rettung von einem Schiff (hier die norwegische "Tampa"),
gnadenlose Abweisung durch Behörden (in diesem Fall Australien),
Internierung in einem Lager (auf der Insel Naura),
Fahrt über den Ozean als illegale blinde Passagiere,
die Lage der Kinder in Mittelamerika: Arbeit auf Kaffee- und Bananenplantagen,
Verwicklung in Drogenhandel und Prostitution,
Erwischt werden an der Grenze zu den USA,
Abgeschoben werden (mit dem "Bus der Tränen"),
einzige Überlebende eines gesunkenen Bootes über das Mittelmeer zu sein,
die Wanderung z.T. auf Pilgerwegen durch halb Spanien und Frankreich
und endlich die liebevolle Aufnahme bei ihren Verwandten in London.

Dieses alles wird in der "Geschichte einer Flucht - Irgendwo - Nirgendwo" auf 400 Seiten erzählt. Die verschiedenen Stationen der Flucht werden in 82 Kapiteln beschrieben. In jedem kommt ein anderer Aspekt in den Blick. So ist es neben dem Lesen des Buches "in einem Zug" auch möglich, einzelne Kapitel herauszugreifen und themenbezogen zu lesen (und vorzulesen!).
Ernsthafte, interessierte Kinder kommen an diesem Thema nicht vorbei. Wenn sie zudem noch die Möglichkeit haben, sich mit Erwachsenen auszutauschen, können sie sich mit diesem Buch gut informieren über die Welt, in der sie leben.
Sigrid Heuck findet Worte und Geschichten für Unfassbares und beschreibt brutale Realität ohne lähmendes Entsetzen zu erzeugen.
Das geschieht - und hier liegt zugleich die Schwäche des Buches - zu Lasten der literarischen Durchdringung der Materie. Manche Passagen scheinen wie aus einer Zeitung abgeschrieben. Viele Personen handeln klischeehaft, Charaktere bleiben schablonenhaft, Lösungen erscheinen unglaubwürdig.
Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, sich mit dem Thema zu nähern, ohne mutlos zu machen.
Der Autorin sind zwei Botschaften wichtig: Die Kinder überleben, weil sie ein Ziel und eine Hoffnung haben (den Onkel in London), und weil sie einander haben. Der Zusammenhalt von Bruder und Schwester erinnert an das Märchen von Hänsel und Gretel, die nach der Vertreibung aus dem Elternhaus sich bei allem Schrecken selber helfen und Mut zusprechen können. Und am Ende wird "alles gut".

Dankbar und erleichtert über das märchenhafte Ende legt man das Buch von Bashir und Dunja aus der Hand, wohl wissend, dass die Wirklichkeit ungleich brutaler und grausamer ist.
Ein einziges großes Plädoyer für eine menschlichere Flüchtlingspolitik, nicht nur, aber besonders gegenüber Kindern, ist dieses Buch und gehört in jede Schulbücherei und in jede Klasse, in der ein "Flüchtlingskind" ist - und wo ist das nicht der Fall?

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von .
Veröffentlicht am 01.01.2010

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