Ich bin's Oda

Autor*in
Grontvedt, Nina Elisabeth
ISBN
978-3-8369-5886-8
Übersetzer*in
Haefs, Gabriele
Ori. Sprache
Norwegisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
281
Verlag
Gerstenberg
Gattung
Ort
Hildesheim
Jahr
2016
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Klassenlektüre
Preis
12,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Oda, ein Mädchen aus Norwegen, kurz vor der Pubertät, versteht die Welt nicht mehr. Die beste Freundin Helle wendet sich ab. In der Familie sind sowieso alle gegen sie und dann ist da noch dieser Junge, der Bruder von Helle.

Beurteilungstext

Will man ein Tagebuch lesen? All diese Gedanken, Ideen, Bilder, Gefühle und Stimmungen – ein Durcheinander an Informationen und Eindrücken. Darf man ein Tagebuch lesen? Ist das nicht zu intim? Will man wirklich alles über einen Menschen wissen?
Zum Glück ist ein literarisches Tagebuch anders als es auf den ersten Blick scheint, zumal es sich als 110 Prozent wahre Geschichte ausgibt. Hundert Prozent würden doch auch schon reichen, aber anscheinend ist das Leben nicht spannend genug. Mit dem Gebrauchsgegenstand hat es vor allem die Funktion gemeinsam. Es dient der Identitätsbildung. Die Protagonistin Oda steckt in einer Krise. Mit der kleineren Schwester ist es sowieso schwierig und dann verliert der Vater noch die Arbeit und ist jetzt ständig zu Hause. Später ziehen neue Nachbarn ein und der Großvater stirbt. Und dann ist da noch dieser Streit mit der besten Freundin. Da gilt es innezuhalten, sonst geht schnell der Überblick verloren. Das Tagebuch kann mit einem Bilanzbuch verglichen werden. Es hält Einnahmen und Ausgaben fest und bildet damit die Grundlage für die Planung, Organisation und Durchführung weiterer Unternehmungen. Oda will wissen, was schief gelaufen ist. Sie dokumentiert ihr Leben und erkennt dabei sich selbst. Das Tagebuch ist schriftgewordenes Bewusstsein. Und wir als Rezipienten lernen Oda kennen, eine Kindheit in Norwegen und natürlich auch das Land selbst. Gute Tagebücher setzen sich auch mit kollektiven Identitäten auseinander. Individuelle Identitätsbildung kann auch Positionsbestimmung sein. Der oder die Schreibende vergewissert sich, wo sie steht: im Land, in der Schule, in der Familie - kurzum: in der Lebenswelt, die nicht nur erfasst, sondern gleichzeitig konstruiert wird. Sie dringt vielfältig in den Text ein. (Post-)moderne Tagebücher sind Medien der Identitätsbildung. Sie stehen als Speicherort für unterschiedliche Wirklichkeitswahrnehmungen und Darstellungsformen zur Verfügung. In diesem Tagebuch existiert zunächst ein Ineinander von Text- und Bildzeichen. Comicartige und auch realistische Schwarz-Weiß-Zeichnungen illustrieren und z. T. ironisieren die Darstellung des Geschehens. Durch die Bilder - mit dem Charme von Kritzeleien - wird es noch deutlicher in der kindlichen Lebenswelt verortet. Stilistisch vielfältiger sind die Texte, die sich in ihrer Art und ihrem Layout unterscheiden. Es gibt Gedankennotizen, Listen, informative Texte zu Orten und Personen von Odas Lebenswelt, Briefe, E-Mails - narrative und lyrische Texte. Sie erscheinen im Layout von Schulheften (kariert und liniert), Klebezetteln, auf der ganzen Seite umrahmt von rechteckigen oder doppelten Linien, Schnörkeln und einfach nur pur. Hier stellt sich die ästhetische Fragen, ob der Form in jedem Fall auch eine eigene Bedeutung zukommt. Beim Lesen kam es mir zum Teil so vor, als hätte das Layout mehr die Funktion, eine abwechslungsreiche Textgestaltung erzeugen und visuell die Brüche in der Präsentation des Geschehens durch ein verändertes Aussehen zu markieren. Trotz des Tagebuchcharakters bleibt es eine weitestgehend narrativ zusammenhängende Darstellung. Ich könnte mir aus dieser medialen Perspektive noch mehr Vielfalt und mehr Lücken vorstellen, z. B. Eintrittskarten, SMS, Internetseiten, Fotografien, Prospekte etc.. In den Lebenswelten Europas unserer Gegenwart gibt es so viele Texte und Bilder und das Lebens verläuft nicht immer stringent. Aber vielleicht ist das auch ein Vorteil des Buches, das sanft in postmodernes Erzählen einführt und dabei immer noch ein Geschichte hat, mit der sich die jugendlichen Leser identifizieren können. Die zentrale Figur erscheint allerdings auf den ersten Blick weniger sympathisch. Sie zeigt zunächst wenig Verständnis für ihre Lebenswelt. Die kleine Schwester Erle wird bspw. als das Erlend verspottet und auch angesichts der Arbeitslosigkeit des Vaters denkt sie zunächst nur an sich und hat Angst, dass die Familie jetzt umziehen müsse. Das ändert sich jedoch im Verlauf des Buches und ist ganz normal, denn die Identitätsbildung mittels Tagebuch impliziert eine weniger egozentrische Weltsicht, weil der oder die Schreibende sich von außen betrachten lernt. Ein gelungener Jugendroman, der Probleme und Themen jugendlicher Lebenswelten aufgreift, ohne explizit zu pädagogisieren. Ob er allerdings auch ein Jungensroman ist, d. h. über Geschlechtergrenzen hinweg funktionieren kann, müsste ausprobiert werden.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von ThoBi; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 26.06.2016

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