Ich bin wie der Fluss

Autor*in
Scott, Jordan
ISBN
978-3-8489-0197-5
Übersetzer*in
Ott, Bernadette
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Smith, Sydney
Seitenanzahl
44
Verlag
Aladin
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)Sachliteratur
Ort
Stuttgart
Jahr
2021
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
18,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Einem Jungen schenkt die Metapher „Ich bin wie der Fluss“ die Sprache, um über sein Stottern sprechen zu können, uns Rezipierenden schenkt das Bilderbuch die Erfahrung, einfühlsam mit Stottern umzugehen und ins Innere der Menschen zu blicken.

Beurteilungstext

„Ich bin wie der Fluss“ ist eine Metapher, die ein Vater für seinen Sohn findet, als sie gemeinsam nach einem harten Schultag an einen Fluss fahren. Von solchen Schultagen hat das Ich-erzählende Kind schon viele durchlebt. Immer wenn der Junge in der Schule vom Lehrer aufgefordert wird, etwas zu sagen, drehen sich alle Mitschüler*innen zu ihm um. Sie sehen dabei, dass der Junge seine Angst nicht verbergen kann. Der Junge stottert.

Das Wasser des Flusses ist so, wie der Junge spricht. Es „sprudelt, wirbelt, gischtet, drängt vorwärts.“ Das Bild des Flusses schenkt dem Jungen Trost. Auch der Fluss stottert. Der Junge ist nicht allein. Der Fluss wird zu seinem Lieblingsort, der ihn aus der Isolation befreit.

In einem Nachwort gibt der kanadische Autor Jordan Scott einen mutigen Einblick in sein eigenes Leben und erzählt von seinem eigenen Kampf gegen das Stottern. Es macht traurig, schenkt aber vor allen Dingen viel Mut und Kraft. Im Geiste der Erfahrungen, die der Autor selbst durchlebt hat, liest sich die Geschichte des Jungen noch einmal intensiver.

Durch die Verknüpfung von realem Autor und literarischer Figur wird das Bilderbuch in seiner Gesamtheit zu einem Zeugnis, Stottern von Kindern nicht als unnatürlich zu begreifen, sondern sie in ihrem Sein zu ermächtigen.

In der Geschichte wird das Innenleben des Jungen dabei auf sehr vielfältige Weise erfahrbar. Der Ich-Erzähler scheint beim Erzählen z.B. selbst zu stottern. Sätze erstrecken sich über mehrere Zeilen, wobei sich die Zeilensprünge auch inmitten syntaktischer Einheiten vollziehen können. Dadurch fordert der Aufbau der Worte Irritation und Pausen hervor. Weite Vorstellungsräume ergeben sich auch durch Äußerungen, die auseinanderliegende Ereignisse miteinander verbinden. So bringt der Mund des Jungen z.B. in der Schule nichts raus, weil er „zu voll [ist] mit den Wörtern vom Morgen.“ Besonderes Potenzial bergen auch Äußerungen, die sich erst vor dem Hintergrund des Stotterns hervorheben. Vater und Sohn fahren „dorthin, wo es ruhig ist.“ Und am Fluss tut es dem Jungen gut, dass er mit seinem Vater „schweigen“ kann. Der Fluss und die achtsame Art des Vaters scheinen dem Jungen die Ruhe auszustrahlen, die er benötigt, um die durchlebten Erfahrungen zu verarbeiten, sie zu ordnen und zu sortieren.

Sydney Smith stellt die Welt des Jungen in Form beeindruckender Aquarelle dar. Diese wirken dabei oft undeutlich bzw. schemenhaft und erzeugen so ein Gefühl dafür, wie der Junge seine Umwelt sieht und was das Stottern auch mit anderen seiner Sinne macht. Es berührt, wie wir als Betrachtende die Perspektive des Jungen einnehmen können, wenn sich z.B. alle Mitschüler*innen zu ihm umdrehen. Die Gesichter der Mitschüler*innen sind dabei verwaschen, sodass ein Abstand zwischen dem Jungen und seinen Mitschüler*innen evoziert wird, der betroffen macht. Darüber hinaus fasst Smith den Klang der Wörter, die der Junge hört, aber nicht aussprechen kann, in deutungsoffene Bildmotive, die immer wieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Erzählung aufgegriffen werden. Insgesamt lassen die Bilder die Betrachtenden niemals wegblicken und verlangsamen durch unterschiedliche Techniken den Rezeptionsfluss, z.B. wenn auf einer Seite sechszehn kleinformatige Bilder den Mund des Jungen fokussieren, indem sie seinen Kopf in Seitenanblick ohne Augen zeigen. Die sechszehn Bilder stellen den Jungen in mehreren Kopfneigungen dar, wobei sich von Bild zu Bild auch Farbe und Form der Gesichter verändern. Wenn der Junge spricht und stottert, dringen immer nur seine verzerrten Gesichter nach außen, niemals sein Innenleben.

„Ich bin wie der Fluss“ von Jordan Scott und Sydney Smith spricht nicht nur ein selten beachtetes Thema an, sondern gefällt auch durch einen mutigen Autor und kraftvoller Poesie in Worten und Bildern.
Die Metapher „Ich bin wie der Fluss“ schenkt dem Jungen die Sprache, um über sein Stottern sprechen zu können, uns Rezipierenden schenkt das Bilderbuch die Erfahrung, einfühlsam mit Stottern umzugehen und ins Innere der Menschen zu blicken.

Sascha Wittmer

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Sascha Wittmer; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 07.09.2021

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