Himmelwärts
- Autor*in
- Köhler, Karen
- ISBN
- 978-3-446-27922-3
- Übersetzer*in
- –
- Ori. Sprache
- –
- Illustrator*in
- Davies, Bea
- Seitenanzahl
- 192
- Verlag
- Hanser
- Gattung
- BilderbuchBuch (gebunden)
- Ort
- München/Wien
- Jahr
- 2024
- Lesealter
- 10-11 Jahre12-13 Jahre
- Einsatzmöglichkeiten
- BüchereiFreizeitlektüre
- Preis
- 19,00 €
- Bewertung
Schlagwörter
Teaser
Toni und ihre „Pommes-Freundin“ YumYum sind auf einer Mission: Mit ihrem selbstgebauten kosmischen Radio wollen sie Tonis Mutter anfunken. Die ist seit Kurzem im Himmel und Toni vermisst sie doch so. Und tatsächlich bekommen sie auch eine Antwort. Allerdings nicht von Tonis Mama, sondern von der Astronautin Zanna auf der ISS. Und die kann ihnen auch so einiges erzählen…
Beurteilungstext
Ausgerüstet mit einem kosmischen Radio und einer gehörigen Menge Snacks kann der Zeltabend beginnen! Besonders Toni wartet seit Wochen gespannt auf dieses Treffen mit YumYum, denn der Verlust ihrer Mutter belastet sie schwer. Sie hofft, ihrer Mama auf diese Weise eine Nachricht zukommen zu lassen. Während Tonis Papa im Wohnzimmer YumYums Mutter am Telefon versichert, dass ihre Tochter in Sicherheit ist, bauen die beiden Freundinnen im Garten vorsichtig ihr Radio auf. Ihre Mission muss geheim bleiben, denn Tonis Papa und YumYums strenge Mutter würden nie ihre Erlaubnis dafür geben.
Nach einigen vergeblichen Funkversuchen erhalten sie auch wirklich eine Antwort. Astronautin Zanna von der ISS ist auf ihrer Frequenz. Alle achtzig Minuten schwebt sie nah genug über Tonis Garten, um mit den Freundinnen zu plaudern. Sie sprechen über das Leben auf der Erde und das Leben im Weltraum, darüber, wie unvorstellbar groß das Universum ist und auch über Tonis und YumYums Mutter. Unentwegt wandern Tonis Gedanken zu den letzten Erlebnissen mit ihrer Mama – jede Kleinigkeit weckt eine Erinnerung an sie. Doch die Zeit mit YumYum und Zanna und eine abschließende, vertraute Gutenachtgeschichte schaffen es, ihr den Abend zu erleichtern. Als YumYum endlich schläft, kommt Tonis Papa noch einmal nach draußen. Er drückt seine Tochter und die beiden trauern, aber wenigstens trauern sie gemeinsam.
Wir erleben die Geschichte als lyrisches Du aus der Sicht von Toni. Sie schildert ihre Vorfreude auf den Abend, erzählt von den letzten Vorbereitungen, von ihrem Papa und ihrer besten Freundin YumYum und natürlich von den vielen Snacks, die sich die beiden Freundinnen extra zugelegt haben. Schilderungen über Letzteres nehmen einen enorm großen Platz in der Geschichte ein. Kindlich-jugendliche Freude an Mitternachtspartys ist eine Sache. Hier ist nahezu jede Szene ist durchzogen von maßlosen Naschereien und etwa jedes dritte Gespräch entpuppt sich als eine Ode an die Welt der Fressalien. Fragwürdig. Möglicherweise eine Kompensationsform der eigenen Trauer? Immerhin deutet Toni zuweilen an, dass ein Snack auch zum Trost dienen kann. Ein derart umfangreiches Vorkommen von (ungesundem) Essen in der Geschichte rechtfertigt diese Zwischenbemerkung allerdings nicht sonderlich. Zumal YumYum genauso dem Snack-Rausch verfällt.
Sprachlich lehnen sich Tonis Ausführungen oft an den Stil der Chat- bzw. Social-Media-Sprache an. Mithilfe von Pfeilen und gelegentlichen Emojis kommentiert sie die Aussagen oder Aktionen ihres Umfelds. An Floskeln der Jugendsprache mangelt es auch nicht. Der Gebrauch wirkt allerdings häufiger gewollt als authentisch. Beispiel: „Checkung haben“. Eine Redewendung, die klingt, als habe eine erwachsene Person halbherzig gegoogelt, um das Studium der Jugendsprache möglichst schnell abzuschließen. Abgesehen davon reicht es auch nicht aus, sich ein bis zwei aktuelle Trends herauszupicken und diese dann inflationär zu gebrauchen (so authentisch sie auch sein mögen!) – so zum Beispiel eine Wie-Frage, die wider Erwarten mit einem „Ja“ beantwortet wird oder die Tendenz, an jedes x-beliebige Wort ein „mäßig“ zu hängen, um ein beschreibendes Wort besonders zu betonen. Gleichzeitig wird die Aussprache sämtlicher Anglizismen mittels einer Art ‚Lautschrift‘ erklärt. Why? (wird übrigens „Uuai“ ausgesprochen.) Da kommt die Frage auf, für wen dieses Buch eigentlich geschrieben ist. Jugendsprache im deutschsprachigen Raum zeichnet sich mittlerweile durch einen immensen Anteil an Anglizismen aus – mit den paar (gängigen) englischen Begriffen sollte die angestrebte Zielgruppe doch klarkommen, oder? Nicht nur hier klingt die Stimme der erwachsenen Autorin durch. Auch die eingestreuten Fakten mithilfe von rhetorischen Fragen, die sich die zwei Freundinnen gegenseitig über das Universum stellen, oder die kurzen Exkurse über die aktuelle Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern wirken leider eher forciert als geschmeidig in die Erzählung gewoben.
Was die Geschichte hingegen geschmeidig bereichert, sind die aquarellen Illustrationen von Bea Davies. Sie spiegeln Tonis Sichtweise zutreffend wider, denn sie sind vorwiegend in den Lieblingsfarben der Protagonistin gehalten – blau und rot. Farben, die überdies assoziativ sehr gut zum astronomischen Teil der Geschichte passen.
Und auch Tonis Notizbucheinträge mit den Erinnerungen an ihre Mutter stehen ganz Im Gegensatz zu ihren gegenwärtigen Schilderungen. Angestoßen durch Assoziationen durchsetzen sie regelmäßig Tonis Gegenwart. Der Tod der eigenen Mutter ist omnipräsent, er durchwebt alles von ihr Erlebte. Diese elliptisch geschriebenen Bausteinen des Textes schaffen es, der Familie und den Erinnerungen ein Gesicht zu geben und machen Tonis Schmerz überraschend greifbar. Hierin liegt das Potenzial der Geschichte. Hier wird in Worte gefasst, wie sich die Ohnmacht gegenüber dem Tod und das Ertragen des Verlustes einer nahestehenden Person am eigenen Leib anfühlen. Da es ihr schwer fällt, über ihre Gedanken und Gefühle zu sprechen, erzählt sie sie lieber in schriftlicher Form. Ihr Schreiben wirkt wie eine Art der Selbsttherapie – zwischenzeitlich sogar wie eine Art Gesprächstherapie, denn nicht selten fragt sie, wie ihr angesprochenes Du mit gewissen Situationen umgeht oder ob es schon ähnliche Gefühle empfunden hat. So bekommt die lesende Instanz auch die Chance, sich selbst zu reflektieren. Spannend ist auch, dass Toni ein großer Fan des Films Mein Nachbar Totoro ist, der einige Parallelen zu ihrer eigenen Geschichte aufweist. Offenbar helfen ihr Erzählungen – eigene wie fremde – beim Verarbeiten ihrer Erfahrungen. Und natürlich sind auch YumYums und Zannas Gegenwart ein Trost für Toni. Insbesondere der Zuspruch der beiden, dass im Universum keine Energie verloren geht, bleibt bei den Lesenden über die Lektüre hinaus im Kopf.
Abschließend kann man sagen: Es ist eine schöne Idee, die das Potenzial hätte, eine gute Geschichte zu formen und dabei eine interessante Art der Trauerarbeit und -bewältigung zu präsentieren. Bedauerlicherweise scheitert der Stoff an seiner Umsetzung, was mitunter daran liegen kann, dass er ursprünglich für die Bühne und nicht als Lektüre geschrieben wurde. Durch das permanente Changieren zwischen Snack-Zeremonien, verbunden mit einem neunmalklugen Austausch, sowie Tonis ergreifender Gedankenwelt machen das Leseerlebnis sehr ambivalent.