Heul doch nicht, du lebst ja noch

Autor*in
Boie, Kirsten
ISBN
978-3-7512-0163-6
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
176
Verlag
Oetinger
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Hamburg
Jahr
2022
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Kirsten Boie wendet sich in ihren letzten Büchern dem Essentiellen zu: In „Dunkelnacht“ hat sie die Regionalgeschichte im bayrischen Penzberg kurz vor Kriegsende beklemmend auf den Punkt gebracht, nun greift sie das Schicksal von drei Kindern aus ihrem heimischen Hamburg kurz nach dem Kriegsende auf. Und hier betritt sie weiterhin Neuland, in der Jugendliteratur hört die Zeitgeschichte meist mit 1945 auf, nur selten erfahren wir, welche Auswirkungen der Nationalsozialismus auf das Nachkriegsdeutschland hatte.

Beurteilungstext

Das Buch ist aus drei Perspektiven erzählt und die drei Kinder könnten unterschiedlicher nicht sein: Jakob ist ein jüdischer Junge, der in seinem Versteck in einem ausgebombten Haus fast verhungert, weil er das Kriegsende nicht mitbekommen hat und sich nicht wagt, auf die Straße zu gehen, nachdem ihn sein Unterstützer nicht mehr versorgt hat. Seine Mutter ist kurz vor Kriegsende deportiert worden, nachdem der „arische“ Vater, der Mutter und Sohn schützen konnte, gestorben ist. Jakob aber soll überleben und er muss sich mit seinen neun Jahren alleine durchschlagen, findet in dem alten Nachbarn Herrn Hofmann einen alten Nazi, der ihn verstecken möchte, um sich für die bevorstehende Zeit nach der Diktatur reinzuwaschen. Jakob überlebt, doch wie kann er nun an Lebensmittel kommen, da er ja nirgends gemeldet ist?
Trautes Schicksal ist demgegenüber fast idyllisch. Sie leidet darunter, dass alle ihre Freundinnen gestorben oder geflohen sind. Um sich den Jungen ihrer Umgebung anzudienen, stiehlt sie aus der Bäckerei ihres Vaters ein Brot, der sofort die einquartierten Flüchtlinge aus dem Osten für den Diebstahl verantwortlich macht. Traute gelingt es immerhin, ihre Schuld einzugestehen, im Kontakt mit anderen Kindern erfährt sie, welches Schicksal die „Polacken“, wie man die Flüchtlinge nennt, selbst hinter sich haben.
Der dritte Junge ist zunächst am unsympathischsten, glaubt er doch immer noch an die HJ-Ideologie, die ihm Deutschlands Größe und die Minderwertigkeit der Juden eingebläut hatte. Doch auch mit seiner Situation muss man Mitleid haben: Seinem Vater wurden beide Beine amputiert und Hermann ist nun dafür verantwortlich, seinen Vater zur Toilette zu tragen. Der Vater wird immer aggressiver, weil er ansehen muss, dass er seiner Familie nur noch zur Last fällt. Als die Mutter sogar noch seinen KFZ-Meisterbrief dazu verwendet, selbst Arbeit zu finden und Hermann ihm andeutet, dass er die Möglichkeit hätte, nach Amerika auszuwandern, wenn er sich nicht, für seinen Vater aufopfern müsste, sieht er den Ausweg nur im Selbstmord: Er stürzt sich aus dem Küchenfenster.
Man sieht, auch dieser Jugendroman von Kirsten Boie ist emotional aufrüttelnd, besonders da er durchgehend die Perspektive der drei Protagonisten durchhält und damit das Schicksal der Kinder in und nach dem Krieg zeigt. Dabei werden die Kinder nicht idealisiert: Um zu ihrem Recht zu kommen, lügen sie, stehlen sie, sind sie Sprachrohr dessen, was die Erwachsenen ihnen eingetrichtert haben. Mit dem Krieg und mit dem Kriegsende sind alle Sicherheiten weggebrochen, was besonders deutlich an der Verzweiflung deutlich wird, die Hermanns Vater ausdrückt, dessen Männlichkeit durch seine Behinderung weggebrochen ist. Doch jedes der drei Kinder hat seine eigene Würde und als LeserIn fühlt man sich allen nah, wenn auch Jakob in seiner besonderen Situation (und auch schon über den Titel) im Vordergrund steht.
Das Jugendbuch ist aufgrund der zarten Erzählweise auch schon für Jugendliche ab 12 Jahren zu lesen, ist aber sicher auch für Ältere und auch für Erwachsene eindrücklich genug.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von RPAK; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 08.02.2022

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