Herr Elefant und Frau Grau gehen in die große Stadt

Autor*in
Baltscheit, Martin
ISBN
978-3-948690-12-0
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Fiedler, Max
Seitenanzahl
63
Verlag
Kibitz
Gattung
Comic
Ort
Hamburg
Jahr
2021
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre8-9 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
14,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

In dem Comicbuch finden ein Elefant und eine Gazelle in der afrikanischen Savanne ein Smartphone, das Touristen verloren haben. Das Leben der Touristen in der Stadt, von dem sie von einem Affen erfahren, erscheint ihnen so großartig, dass sie nach Europa fliegen.

Beurteilungstext

Inhalt
Elefant und Gazelle begegnen sich an einem Wasserloch in der afrikanischen Savanne und werden ein Liebespaar. Mit dem Smartphone, das sie finden, können sie nicht viel anfangen, aber ein Affe, dessen Großvater früher bei einem Zirkus war, kann ihnen Informationen über das Funktionieren des Smartphones geben und über die Stadt, in der dessen Besitzer lebt.

Botschaft
Das Anliegen des Comics ist die satirische Zerstörung gesellschaftlicher Klischees.
Das beginnt mit der Liebesgeschichte zwischen Elefant und Gazelle und der abfälligen Reaktion der Mittiere, vertreten durch den Oberbüffel einer Büffelherde, wobei er assoziativ für einen beschränkten und engstirnigen Ochsen steht.
Hauptthema aber ist der Gegensatz zwischen unberührter Natur und der Zivilisation der Großstadt und die jeweils falschen romantisierenden Vorstellungen, die sich immer diejenigen von dem Lebensraum machen, in dem sie nicht leben. Hier bedienen sich Autor und Zeichner des „fremden Blicks“ eines Außenstehenden auf die dem Rezipienten bekannte, gewohnte Situation, deren Negativa auf diese Weise entlarvt und klarer erkennbar werden. Das Sehnsuchtsziel der unberührten Natur, deren Anblick die Touristen für teures Geld erkauft haben, ist tatsächlich der Schauplatz von darwinistischem Fressen und Gefressenwerden. Die von Elefant und Gazelle erträumten Konsummöglichkeiten der Großstadt müssten damit bezahlt werden, dass man dort in kalten Steingebirgen lebt.
Besonders komisch wird der Perspektivwechsel durch den „fremden Blick“ , wenn in Text und Bild die Vorstellungen umgesetzt werden, die sich die Tiere der Savanne von dem ihnen noch unbekannten Leben in der Stadt machen, das der Affe ihnen mit den ihnen geläufigen Begriffen nahezubringen versucht. Das Smartphone ist ein „Flachkäfer“, die Stadthäuser sind „Termitenbauten“, darin wohnen „Fleischfresser“ und „Pflanzenfresser“, die es im Badezimmer „regnen lassen“ können. Die Badewanne ist die „persönliche Suhle“. Zur Fortbewegung gibt es Busse für die „großen Herden“ und eine U-Bahn in einer Art „Mäusetunnel“. Weil die in der Stadt Lebenden nackt sind, müssen sie sich künstliche Felle anziehen.
Der „fremde Blick“ ist in der Vergangenheit immer wieder eingesetzt worden, um an der abendländischen Gesellschaft Kritik zu üben. Hans Paasche z. B. ließ 1921 in „Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland“ einen Afrikaner einen unverstellten Blick auf die Gesellschaft des Kaiserreichs werfen. In dem vorliegenden Buch schauen die afrikanischen Tiere auf die Zivilisation und den Auswuchs des Tourismus.

Ein von allen Humoristen gern benutztes Motiv ist, Tiere in eine zivilisatorische Situation zu setzen. Hier treten in ihrem Traum von der Stadt der aufrecht gehende Elefant mit Schlips und rosa Anzug und die Gazelle mit Federhut, Sonnenbrille und Kleid gepflegt Tee trinkend auf. Andererseits passt der dicke Elefant nicht in die kleine Badewanne, oder Elefant und Büffel sprengen den engen Fahrstuhl.

Darüber hinaus verteilen Autor und Zeichner unaufhörlich sarkastische Seitenhiebe, u. a. auf die fotografiersüchtigen Touristen und ihre Handynutzung oder auf die Lächerlichkeiten der Klischees von einer Paarbeziehung, von der Anbahnung mit dem Stolpern über das „Sie“ und das „Du“ und der Nennung der dämlichen Vornamen Horst und Elvira, über das Süßholzraspeln, über die groteske Situation, wenn das so ungleiche Paar händchenhaltend vor der untergehenden Abendsonne sitzt und Herzchen fliegen. Dann die Vorstellung von einer gemeinsamen Zukunft in der Stadt, wenn die Gazelle ihre Einkäufe nach Haus bringt und auf der abendlichen Dachterrasse auf den elefantischen Göttergatten wartet, der nach seiner White-Collar-Tätigkeit im Büro nach Haus kommt.

Illustration
Max Fiedler setzt den satirisch-kritischen Textvorwurf von Martin Baltscheit in seinen randlosen Panels kongenial um. Die schwungvollen kolorierten Zeichnungen erfassen köstlich alberne und lächerliche Körperhaltungen und Mimik, z. B. den am Ast herumturnenden Affen während seiner Erzählung vor den staunenden Tieren. Dazu kommt das Erfassen der Landschaften in verschiedenen Stimmungen, wo der sich ankündigende romantische Kitsch gleich wieder gebrochen wird. Die narrativen Bilder haben viele kommentierende Details und Gags, besonders die großen Wimmelbilder.

Vermittlung
Bereits Grundschüler werden die Geschichte von Tieren in Menschenkleidern komisch finden. Aber der hier mitgemeinte satirische Hintersinn der Gesellschaftskritik wird wohl erst ab der Sekundarstufe erfasst und in der Gruppe diskutiert werden können.
Im Anschluss könnten eigene Versionen eines „fremden Blicks“ auf das heutige Leben entworfen werden.

Über den Autor
Martin Baltscheit ist ein Multitalent und hat sich erfolgreich schon in vielen unterschiedlichen Bereichen betätigt. Er studierte Kommunikationsdesign an der Folkwangschule Essen. Danach arbeitete er als Sprecher, Schauspieler, Regisseur und Rundfunkmoderator. Er schrieb und zeichnete Comics und Kinderbücher, verfasste Hörspiele, Theaterstücke und Trickfilme und arbeitete mit mehreren bekannten Autor*innen und Illustrator*innen zusammen. Er wurde schon vielfach ausgezeichnet. 2011 bekam er den Deutschen Jugendliteraturpreis für „Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor“.

Über den Illustrator
Max Fiedler gehörte 1999 zu den Gründer*innen des Düsseldorfer Comicmagazins „Herrensahne“. Er arbeitet als Illustrator, Animationszeichner und Game-Designer. 2018 gewann das von ihm gestaltete Spiel Card Thief (Entwicklung: Arnold Rauers) den Deutschen Computerspielpreis für das beste mobile Spiel. Von ihm stammen mehrere Sachbilderbücher und erzählende Bilderbücher und das Buch „Lyrik-Comics“ für Kinder und Jugendliche. An der Fachhochschule Düsseldorf hatte er von 2005 bis 2012 einen Lehrauftrag im Bereich Interaktive Systeme / Animation und Gamedesign.

Hamburg. Geralde Schmidt-Dumont

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Diese Rezension wurde verfasst von Geralde Schmidt-Dumont; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 01.06.2022

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