Heidi kann brauchen, was es gelernt hat

Autor*in
Spyri, Johanna
ISBN
978-3-401-05601-2
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Schellenberger, Hans G.
Seitenanzahl
168
Verlag
Arena
Gattung
Ort
Würzburg
Jahr
2004
Lesealter
6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
7,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Zweiter und letzter Band des weltweit bekannten Klassikers von 1881: Nach ihrer Zeit in Frankfurt lebt Heidi wieder bei ihrem Großvater auf der Alm. Dorthin kommt ihre Freundin Klara für einen Sommer zu Besuch und wird durch gesunde Nahrung und die freie Natur der Berge von ihrer Lähmung geheilt.

Beurteilungstext

Im zweite Band der Geschichte kann Heidi, wie der Titel ankündigt "brauchen, was es gelernt hat", womit auf den ersten Teil "Heidis Lehr- und Wanderjahre" (1880) verwiesen wird. In der Fremde war das naturhaft unverdorbene Waisenmädchen mit städtischer Kultur konfrontiert worden. Heidi hatte begriffen, dass es wichtig ist auf Sauberkeit und Ordnung zu achten, und von Klaras Großmutter hatte sie das Lesen und das Beten gelernt. Dabei konnte sich Heidi ihr unverbildetes Wesen erhalten und nach ihrer Rückkehr gemeinsam mit ihrer Umwelt vom Erlernten profitieren: Nun kann sie Peter das Lesen lehren, dessen Großmutter die geliebten Verse aus dem Liederbuch vortragen und ihrem Großvater das Heim in Ordnung halten, so dass dieser ausruft: "Bei uns ist's jetzt immer wie Sonntag, das Heidi ist nicht vergebens in der Fremde gewesen." (S. 20) Dieses Anwenden von Kenntnissen und Erfahrungen steht jedoch, anders als der Titel vermuten lässt, nicht im Vordergrund. Wie im ersten Band bestimmt auch hier die Natur und der damit in Verbindung stehende unbefangene "natürliche" Charakter des Kindes, das Allem und Jedem voll Empathie begegnet, den Inhalt des Buches.
Dabei sind für das Verständnis der Geschichte die Naturbeschreibungen und Heidis Reaktionen auf ihre Naturwahrnehmung von großer Bedeutung. Ihre ständige Freude über die Schönheit der Natur, die ihr so in die Glieder fährt, dass sie jauchzen und springen muss, mag vielleicht zunächst befremden, für das tiefergehende Verständnis des Textes sind aber gerade diese Passagen elementar. Um so erfreulicher ist die Entscheidung des Verlages den Originaltext, abgesehen von einer Anpassung an die neue Rechtschreibung, unverändert zu veröffentlichen und nicht wie in zahllosen Adaptionen geschehen, gerade die Stellen zu streichen, die vermeintlich die Handlung nicht voranbringen, denn es ist gerade die lebendige beschreibende Sprache Johanna Spyris (1827-1901), die dem Leser die Natur als Faszinosum vor Augen führt.
Damit wird der im ersten Band aufgebaute Kontrast zwischen Natur und Stadt, zwischen unbeschwerter kindlicher Naivität und der aufgesetzten Etikette anerzogener Kultur weiterentwickelt, wobei die Autorin mit ihrer Vorstellung vom Kind als einem naturhaften Geschöpf erneut Gedanken Jean-Jaques Rousseaus aufgreift. Für Johanna Spyri ist jedoch zumindest temporär eine Annäherung der Antipoden möglich. Die Städter reisen in die Schweizer Berge und erleben ihre Heilung. Dass die Autorin dabei nicht nur an eine körperliche Gesundung, sondern an eine Genesung im umfassenden Sinn gedacht hat, fällt in verkürzenden Wiedergaben oder Nacherzählungen der Geschichte, die sich häufig auf die wundersame Heilung Klaras beschränken, häufig weg. Die Originalfassung dagegen beginnt und endet mit der "Gesundung" des Hausarztes der Familie Sesemann, der bereits verwitwet den Tod seiner Tochter zu beklagen hatte und deshalb zu Schwermut neigt. Nur die Natur der Berge und die innere Natur des Kindes Heidi vermögen ihn zu stärken und verleihen ihm eine neue Perspektive. Sein Bekenntnis zur Natur als der besseren Medizin steht als Idee hinter der gesamten Heidi-Erzählung: "Dort oben ist's gut sein, da können Leib und Seele gesunden und man wird wieder seines Lebens froh." (S. 43)
Ausgehend von der Grundlage ihrer pietistisch-religiösen Anschauungen spricht Johanna Spyri hiermit zivilisationsfeindliche Gedanken aus, die mit dem Kulturpessimismus Ende des 19. Jahrhunderts in zunehmendem Maße Verbreitung fanden und schließlich mit den Lebensreformbewegungen um 1900 breitere Bevölkerungsschichten ergriff. Ohne sich dessen bewusst zu sein lebt Heidi nach diesen Grundsätzen, ist den gebildeten Besuchern aus Frankfurt deshalb einen entscheidenden Schritt voraus und wird so zur Heldin. Erst vor dem Hintergrund dieses Kontexts kann Johanna Spyris Werk in seiner Aussage jenseits der vereinfachenden "heile Welt"-Versionen als Klassiker verstanden werden, dessen Lektüre auch heute noch lohnend ist.

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Diese Rezension wurde verfasst von röma.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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